Mittwoch, 17. Juni 2015, 15:00 MESZ Gewitter Mitteleuropa 12.06.-14.06.2015 Überflutungen bei Sulgen (CH), am Abend des 14.06.2015 © Julian Quinting |
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In der ersten Junihälfte folgte auf eine schwere Gewitterlage um den 6. Juni wenige Tage später eine weitere. Vorübergehend machte sich feuchtheiße Mittelmeerluft vorderseitig des Tiefkomplexes "Michel" über der Biskaya auf den Weg nach Mitteleuropa. Heftige Gewitter ließen dabei nicht lange auf sich warten und brachten lokal Überflutungen, Hagelschlag und schwere Sturmschäden mit sich, die in Rathenow (BB) ein Todesopfer forderten. Während an einigen Orten im Westen Deutschlands sowie im Alpenraum schwere Überflutungen mit Schlammmassen und einem Erdrutsch in Oberstdorf (BY) auftraten, verschärfte sich die mittlerweile seit Wochen anhaltenden Trockenheit in der Mitte Deutschlands.
Wetterlage und Entwicklung Der atlantische Höhentrog mit dem korrespondierenden Sturmtief "Lothar", der die Gewitterlage eine Woche zuvor verursachte, verlagerte sich unter Vergrößerung seiner Amplitude südostwärts und von diesem schnürte sich durch einen nachfolgenden Höhenrücken am 9.Juni ein Höhentief über dem Ärmelkanal ab. "Lothar" war bis dahin schon nordostwärts nach Russland abgezogen und über Mitteleuropa herrschte eine nordöstliche Strömung. Durch das südwestwärts in die Biskaya ziehende Höhentief sowie ein weiteres bei den Azoren in Verbindung mit der Entwicklung stromauf regenerierte sich die Trogstruktur über Westeuropa. Der Trog stellte den Antrieb für die Entstehung des Tiefdruckkomplexes "Michel" über Südwesteuropa bereit. Positive Vorticityadvektion und Divergenz in der Höhe führten an einer langgestreckten Bodenfront (Tiefdruckrinne), die aus dem Frontensystem von "Lothar" hervorging, zu Druckfall am Boden und damit der Entstehung von "Michel" über der Biskaya. Im Zusammenspiel mit Hoch "Xenia", das sich von den Britischen Inseln (Kerndruck anfangs über 1040 hPa) über die Nordsee unter Abschwächung nach Osteuropa verlagerte, kam eine Warmluftströmung mit südlichen Winden in Gang. Die heißeste Luft breitete sich von Algerien und den westlichen Mittelmeerinseln nordwärts aus. Die 10°C-Isotherme (850 hPa-Niveau) überschritt die deutsche Grenze am 10.06. 18 UTC und erreichte zwei Tage später die Küsten. Die 15°C-Isotherme befand sich über der Südosthälfte Deutschlands, am Alpenrand wurden 20°C analysiert (rund 10 K über dem langjährigen Mittel). Mit dem sich annähernden Hoch sowie der Winddrehung auf südliche Richtungen lösten sich zum einen die in der kühleren Meeresluft entstandenen dichten Wolken auf, zum anderen setzte eine kräftige Erwärmung bis auf 27 bis 32 Grad (ausgenommen das Küstenumfeld) am 12.06. ein.
Gewitterlage am zweiten Juniwochenende Tief "Michel I" zog südwestlich Irlands und westlich Frankreichs über dem Atlantik seine Kreise und beschäftigte Mitteleuropa über mehrere Tage. Dabei herrschte ein Gradient der Temperatur von mehr als 15 Kelvin sowie der Theta-E (äquivalentpotentielle Temperatur) von rund 40 Kelvin in 850 hPa zwischen Schottland und Österreich. Zusammen mit Hebungsantrieben vorderseitig des Höhentrogs sowie mehreren bodennahen Konvergenzlinien (Zusammenströmen der Luftmassen aus unterschiedlichen Richtungen) waren jeweils die Bedingungen für starke Gewitter gegeben. Im Warmsektor von "Michel I" konnte am 11.06. 18 UTC eine Konvergenzlinie über Westfrankreich analysiert werden, die bis 12.06. 12 UTC mit der Entwicklung eines Gewittertiefs bei den Balearen noch deutlich an Nord-Süd-Erstreckung gewann. Über Ostfrankreich lag eine weitere Konvergenz sowie ein Hitzetief über Bayern. Ab 13.06. 06 UTC überquerte bereits die Kaltfront von Tief "Michel II" Deutschland. Am 14.06. 00 UTC kam mit einer Warmfrontwelle erneut energiereiche Luft nach Süddeutschland voran, das Frontensystem von "Michel II" blieb in der Folge quasistationär über dem Alpennordrand liegen und von 14.06. 18 UTC bis 15.06. 12 UTC war auf den Wetterkarten erneut eine Konvergenzlinie auszumachen. Im gesamten Zeitraum befand sich Deutschland noch trogvorderseitig, danach setzte sich dieser allmählich ostwärts in Bewegung, während ein gut ausgeprägter Trog über Skandinavien nordostwärts schwenkte. Hoch "Yoko", bodennah hervorgegangen aus einem atlantischen Höhenrücken, beendete die Gewitterlage im Laufe des 15. Juni. So setzte sich Wetterberuhigung und bis zum 17.06. trockenkühle Luft in ganz Mitteleuropa durch.
Heftige Gewitter in Südwesteuropa Am 11. Juni entstanden zunächst in der Region Aquitaine (Südwestfrankreich) kräftige Gewitter mit Hagel, schweren Sturmböen und Starkregen bis 41,3 mm in einer Stunde in Cazats. Lokal waren Murenabgänge und umgestürzte Bäume die Folge. In der Region Languedoc-Roussillon wurden morgens 59,5 mm in einer Stunde (Castans) und nachmittags am Flughafen Montpellier 42,5 mm in einer halben Stunde (78,1 mm/3h) registriert. Mehr als der durchschnittliche Monatsniederschlag prasselte hier also in einer Stunde vom Himmel. In Las Pinaillas (bei Albacete in Spanien) beschädigten am 12. Juni nachmittags 4,5 cm große Hagelsteine beispielsweise Autos.
Anhand der Niederschlagssummenkarten lassen sich die Unwetterschwerpunkte in Deutschland ausmachen, diese lagen am 12. Juni in Deutschland in Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Einsätzkräfte waren pausenlos im Einsatz, zuerst am Niederrhein, abends im Rheingau. Am 13. Juni befand sich der Schwerpunkt im Nordosten, am 14. Juni mit flächig hohen Regenmengen im Süden des Landes.
12. Juni: Sturzfluten im Südwesten
Der Radiosondenaufstieg von Stuttgart (12.06., 12 UTC) zeigt unter anderem einen schwachwindigen Bereich von 1000-800 hPa, darüber eine schnelle Rechtsdrehung des Windes mit der Höhe, das bedeutet also eine gewisse Windscherung für die Organisation der Gewitterzellen, andererseits aber auch eine langsame Verlagerung und Regeneration derselben, was sich für die hohen Niederschlagssummen verantwortlich zeigt. Hohe Feuchte zeigte sich in Theta-E-Werten über 50°C und niederschlagbarem Wasser von 30-35 kg/m². Die energiereiche Luftmasse zeichnete sich durch CAPE-Werte über 1000 J/kg und einem Lifted Index von -4 aus (Labilität).
Tags darauf entstanden im Vorfeld der nach Osten vorankommenden Kaltfront von "Michel II" heftige Gewitter. Die Bedingungen waren anhand des Aufstiegs von Meiningen mit CAPE>1800 J/kg und LI von -5 vorhanden. Die Temperatur nahm bis 850 hPa stark mit der Höhe ab und war darüber recht feucht, teilweise gesättigt (Temperatur- und Taupunktkurve liegen nahe beieinander). Ein Unwetter bei Rathenow im Havelland richtete große Schäden beispielsweise auf dem Gelände der Bundesgartenschau an, sodass dieses tagelang geschlossen bleiben musste. Neben Überflutungen und taubeneigroßen Hagelkörnern besteht hier ein Tornadoverdacht. Das Dach eines Bürogebäudes wurde vollständig abgedeckt und auf die B188 verfrachtet, Bäume wie Streichhölzer umgeknickt und Wände eingedrückt. Sandkalksteine fanden sich auf benachbarten Grundstücken wieder, Teile von Gartenhäusern über 100 Meter entfernt. Auch die Bahnstrecke nach Brandenburg wurde unterbrochen. Ähnliche unwetterbedingte Behinderungen wie am Tag zuvor in Westdeutschland stellten sich auch im Raum Bremen, Berlin, Sachsen-Anhalt und dem Erzgebirge ein.
14.Juni: Unwetter in Bodenseeregion Bonndorf im Schwarzwald, das bereits im Mai von Unwettern heimgesucht wurde, hatte mit den Folgen der Schäden durch eine Schlammlawine zu kämpfen. Bei Meßkirch zeigte sich eine winterlich anmutende Hagelschicht, ein überfluteter Einkaufsmarkt, sowie Geröll auf der B31 bei Überlingen. In Konstanz wurden am Sonntagabend Straßen mit Schneepflügen freigeräumt. In der Schweiz bei Wil (Kanton Thurgau) musste sogar die A1 bis zum nächsten Morgen gesperrt werden. Fluten aus Wasser und Schlamm bahnten sich ihren Weg auf die Fahrbahnen, sowie Geröll, das sich stellenweise 50 cm hoch aufstapelte. Teilweise kam in zwölf Stunden mehr als der übliche Juniniederschlag vom Himmel (108 mm), 55 mm in einer Stunde in Güttingen, entsprechend wurden Häuser überflutet und Autos von Wassermassen mitgespült. Ursache für die Ereignisse im Bodenseeraum war ein mesoskaliges konvektives System (MCS), das sich durch starke Gewitterzellen an seinem Vorderrand auszeichnet, die Überschwemmungen auslösten und nach einiger Zeit in länger anhaltenden stratiformen Regen übergehen, die die Niederschlagssummen noch etwas erhöhen. Auch aus anderen Ländern, wie zum Beispiel in Niederösterreich, der Slowakei und der Ukraine wurde von Unwettern mit 5 cm großem Hagel berichtet. Erdrutsch in Oberstdorf Sehr starke gewittrige Regenfälle (Multizellen) führten am Sonntagnachmittag zu einem Erdrutsch in Oberstdorf. Am Ufer des Gebirgsflusses Oybach lösten sich Schlammmassen, die talwärts erst nahe der Oberstdorfer Skisprungarena aufgehalten wurde. Trotzdem stand dort der Schlamm etwa neun Meter hoch, sodass mit Hubschraubern und Baggern gearbeitet werden musste. In der Gemeinde versuchten die Bewohner die Häuser vor weiteren Schäden durch die braunen Fluten mit Sandsäcken zu schützen, trotzdem wurden vorsorglich 500 Menschen evakuiert. Möglicherweise sind einige Häuser einsturzgefährdet.
Gleichzeitig Dürre in anderen Landesteilen Am wenigsten Niederschlag kam bei den ohnehin meist nur punktuell höhere Niederschlagsmengen verursachenden Gewitterzellen in der breiten Mitte Deutschlands zusammen, die auch schon in den letzten Wochen und Monaten deutlich weniger Niederschlag als im langjährigen Mittel verzeichneten: z.B. 83 mm in Frankfurt/Main seit Februar. Normal sind rund 240 mm in diesem Zeitraum, also etwa das Dreifache. Warme Tage mit hohen Verdunstungsraten verschlimmerten die Situation zusammen mit dem Regenmangel noch weiter. Die Elbpegel sanken von gut 2 m auf ein Niedrigwasser von unter 1 m, sodass Schiffe nicht mehr mit voller Ladung fahren konnten. Auf den Feldern verdorren kleingewachsene Pflanzen, teilweise setzt bei Getreide Notreifung ein. In Ostwestfalen zeigen sich tiefe Trockenrisse, erste Blätter fallen von den Bäumen. Vorhersagen zeigten auch bis in die letzte Monatsdekade keine grundlegende Entspannung der Situation in den betroffenen Gebieten an. Text: FB 16. Juni 2015 aktualisiert: FB, 17. Juni 2015 |