Mittwoch, 10. Juni 2015, 15:35 MESZ
Hitze/heftige Gewitter Mitteleuropa 05.06.-07.06.2015 Superzelle nahe Chaam (NL) am 05.06.2015 gegen 19:15 MESZ © Gijs de Reijke, Level 3 Storm Chasers |
|
Meteorologisch gesehen hatten die ersten Junitage einiges zu bieten. Erst wurde subtropische Heißluft nach Mitteleuropa geführt und die Höchsttemperaturen knackten gebietsweise die 35-Grad-Marke. In Deutschland und Frankreich wurden einige neue Temperaturrekorde für die erste Junidekade aufgestellt. In feucht-heißer Luft entwickelten sich anschließend zum Teil heftige und blitzintensive Gewitter, die lokal mit Starkregen, Sturmböen und Hagel einhergingen. Am 05.06. insbesondere von Nordfrankreich bis Westdeutschland, am 06. und 07.06. vor allem vom Alpenraum bis Baden-Württemberg und Bayern. Örtlich flogen 5 cm große Hagelkörner vom Himmel, mancherorts führte heftiger Starkregen zu Überschwemmungen. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.
Hitze bringt neue Dekadenrekorde In den ersten Junitagen vergrößerte über dem östlichen Nordatlantik ein Höhentrog seine Amplitude. Gleichzeitig wölbte sich über West- und Mitteleuropa ein Höhenrücken auf, der sich am 03.06. bis zu den Britischen Inseln erstreckte. Vor dem Rücken entstand am Boden ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet mit einem Kerndruck von 1030 hPa. Das Hoch namens "Walburga" lag am 04.06. mit Zentrum über Norddeutschland und verlagerte sich an den Folgetagen ostwärts Richtung Polen. Dadurch setzte sich eine südliche Strömung in Gang, die subtropische Heißluft nach Mitteleuropa schaufelte. Von Polen bis Südengland und Südspanien erstreckte sich ein großer wolkenarmer bis wolkenfreier Bereich.
Am 04.06. war die 20-Grad-Isotherme in 850 hPa (in rund 1500 Metern Höhe) über Spanien auszumachen. Am Abend erreichte die 15-Grad-Isotherme den Südwesten Deutschlands. Am 05.06. war es über Europa auf derselben Druckfläche von Spanien über Frankreich bis nach Deutschland sowie in Italien verbreitet 15-20 °C warm. Dies entspricht Abweichungen von 8 bis 12 K gegenüber dem langjährigen Mittel für Anfang Juni. Im Juni steht die Sonne am höchsten und bei wolkenlosem Himmel sind über 16 Sonnenstunden pro Tag möglich. Die kräftige Einstrahlung heizt den Boden enorm auf, sodass es bodennah zu einer überadiabatischen Erwärmung kommen kann (<= 1 K Abkühlung/100 Meter Höhe).
Die Hitze arbeitete sich von Frankreich, wo am 04.06. bereits Temperaturen von regional über 35 °C gemessen wurden, Richtung Zentraleuropa. In Deutschland gelangte die kurze Hitzephase am 05.06. mit dem Erreichen der 35-Grad-Marke auf ihren Höhepunkt. Am wärmsten wurde es vom Südwesten über den Westen bis in die Mitte Deutschlands, wo die 30-Grad-Marke verbreitet deutlich übertroffen wurde. Auch in Belgien wurde es mit bis zu 34,0 °C (Kleine Brogel) sehr heiß.
In Westdeutschland war es damit noch heißer als an Pfingsten 2014, wo besonders seinerzeit in der Südhälfte außergewöhnlich viele neue Dekadenrekorde und sogar ein paar Monatsrekorde aufgestellt wurden. Einzelne neue Dekadenrekorde konnten am 05.06. in Nordrhein-Westfalen verbucht werden. Am 06.06. verlagerte sich der Hitzeschwerpunkt ostwärts. In der Südosthälfte Deutschlands wurde die 30-Grad-Marke verbreitet überschritten. Die heißesten Temperaturwerte mit nochmals fast 35 °C wurden vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Sachsen aufgezeichnet. Auf ein paar Autobahnen wurden aufgrund der Hitze Fahrbahnverformungen befürchtet. Etwa auf der A3, A92 und A93 wurde zur Sicherheit eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verordnet. Neue Rekorde in Deutschland für die erste Juni-Dekade (Messbeginn | bisheriger Rekord / Datum alt): Köln/Bonn-Flughafen (NW): 33,9°C (1958 | 33,2°C / 07.06.1996) Düsseldorf (NW): 33,1°C (1970 | 32,9°C / 07.06.1996) Münster-Osnabrück (NW): 32,7°C (1990 | 32,3°C / 08.06.1996) Bad Lippspringe (NW): 32,1°C (1951 | 31,9 °C / 03.06.1982) (Datenquelle: DWD) Neue Rekorde in Frankreich für die erste Juni-Dekade (bisheriger Rekord / aus dem Jahr): Nemours (Seine-et-Marne): 34,8 °C (33,4 °C / 1996) Nevers (Nièvre): 34,2 °C (33,9 °C / 2014) Bourges (Cher): 33,8 °C (32,0 °C / 2014) Châteauroux (Indre): 33,3 °C (33,0 °C / 1911) Orléans (Loiret): 33,0 °C (32,6 °C / 1996) Tours (Indre-et-Loire): 32,8 °C (32,0 °C / 1996) (Datenquelle: Meteociel)
Energiereiche Luft Über dem östlichen Nordatlantik bildete sich am 03.06. hingegen ein Tief namens "Lothar", das am 04.06. Richtung Britische Inseln zog und mit einem Kerndruck um 995 hPa die Rolle des steuernden Zentraltiefs einnahm. Mit Nordostwärtsverlagerung des Troges mitsamt des Tiefs kam es zunächst von Nordfrankreich über die Benelux bis nach Nordwestdeutschland zu einer Labilisierung der Troposphäre und schließlich zu einer spürbaren Abkühlung. Dabei erhöhte sich zunächst in Frankreich und der Benelux, anschließend auch in Deutschland der Feuchtegehalt der Luft. Die Luft war extrem energiereich und das Gewitterpotential hoch. Deutlich wurde dies beispielsweise an sehr hohen Werten der konvektiv verfügbaren potentiellen Energie (CAPE) oder des Lifted Index (gebietsweise unter -7 K). In Paris/Trappes betrug die CAPE am 05.06. um 06 UTC 2290 J/kg (siehe Radiosondenaufstieg). GFS-Analysen gehen davon aus, dass die CAPE regional um 3000 J/kg lag. Schwere Gewitter von 5. bis 7. Juni Vorderseitig der südostwärts vorankommenden Kaltfront von Tief "Lothar" entwickelten sich am 05.06. vor allem in Nordfrankreich, Benelux und in Westen Deutschlands zum Teil schwere Gewitter. Die Kaltfront trennte sehr warme und feuchte Luft mit pseudopotentiellen Temperaturen von 55-60 °C von trockenerer und deutlich kühlerer Luft mit pseudopotentiellen Temperaturen von nur noch 25-30 °C. Der Gewitterschwerpunkt verlagerte sich am 06.06. und in der Nacht zum 07.06. weiter südostwärts. Von Baden-Württemberg bis Bayern entluden sich dann lokal heftige Unwetter mit Starkregen, Hagel und stürmischen Böen. Im Alpenraum gingen örtlich ebenfalls schwere Gewitter nieder.
In den Mittagsstunden hatte sich von der Normandie über Südostengland bis auf die Nordsee eine Gewitterlinie gebildet, die sich intensivierte und ostwärts verlagerte. Vor den Gewittern war es am Nachmittag schwül-heiß mit Temperaturen oberhalb der 30-Grad-Marke, dahinter mit zum Teil deutlich unter 20 °C erheblich kühler (z.B. in der Region Nord-Pas-de-Calais: nur 15 °C in Boulogne-sur-Mer und 31 °C im rund 100 km entfernten Lille). Im Bereich einer Superzelle traten beispielsweise im Département Somme heftige Wettererscheinungen auf: In Rouvroy-en-Santerre wurden Spitzenwindböen bis 101 km/h gemessen (schwere Sturmböen) und heftiger Starkregen von 25 mm in gerade einmal 12 Minuten. Orkanböen der Stärke Bft. 12 traten in Cambrai-Épinoy mit 120 km/h auf (Quelle: Meteociel). Am Abend verlängerte sich die Gewitterlinie bis in den zentralen Westen Frankreichs. Erste Gewitter erreichten dann auch Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Außerdem entstanden über den Alpen erste Gewitterzellen. In der Nacht auf 06.06. zogen die Gewitter mit Starkregen, vielen Blitzen und Hagel in den Westen Deutschlands. Am Festival "Rock am Ring" schlugen Blitze ein, die etwa zwischen 01 und 03:30 Uhr insgesamt 33 Menschen verletzten. In der zweiten Nachthälfte entluden sich gebietsweise auch von der Schweiz bis in den Südwesten Deutschlands blitzintensive Gewitter.
6. Juni: Unwetterschwerpunkt in der Südosthälfte Der Schwerpunkt der Gewitteraktivität, die vom Morgen bis zum Nachmittag des 06.06. vorübergehend abebbte, befand sich vom Nachmittag bis in die Nacht hinein in der Südosthälfte Deutschlands. Blitzintensive Gewitter führten vor allem durch Blitzschlag und Starkregen zu Schäden. Häuser standen nach Blitzeinschlägen in Flammen, beschädigte Oberleitungen hatten Strom- und Zugausfälle zur Folge. Aufgrund der geringen Höhenströmung verlagerten sich einmal gebildete Gewitterzellen kaum und brachten lokal begrenzt enorme Niederschlagsmengen. Örtlich führte bis zu 5 cm großer Hagel zu Schäden, wie beispielsweise am Abend des 06.06. nahe Thun (CH), wo sogar Auto-Frontscheiben zu Bruch gingen (siehe Foto). Am Abend des 06.06. richtete ein Unwetter auch in der Region Innsbruck erhebliche Schäden an. Dutzende Keller liefen nach heftigem Starkregen voll, mehrere Hänge rutschten ab. Teile des Orts Polling war vorübergehend die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen. Schlammmassen und Überflutungen setzten etliche Straßen und Unterführungen unter Wasser und führten zu etlichen Straßensperrungen (Quelle: ORF Tirol). Lokal wurden einzelne Tornados und Tornadoverdachtsfälle beobachtet. Am 05.06. wurde in Luxemburg (nahe Kaundorf) einer Schneise mit umgestürzten Bäumen berichtet. In Brot-Dessous in der Westschweiz wütete am Nachmittag des 07.06. ein Tornado und richtete Schäden an Hausdächern an.
Südwestlich von Stuttgart bildete sich am 06.06. gegen 14 Uhr eine Gewitterzelle, die sich kaum verlagerte und lokal eng begrenzt heftigen Starkregen und Hagelschlag brachte. Betroffen war vor allem Sindelfingen (BW), wo zentimetergroße Hagelkörner vom Himmel fielen. Die Zelle war von Stuttgart und von der Schwäbischen Alb aus eindrucksvoll zu sehen (siehe Bilder). Noch heftiger erwischte es den badischen Ort Bretten nahe Karlsruhe. Um 19 Uhr fielen Hagelgeschosse mit einem Durchmesser von bis zu 5 cm zu Boden. Innerhalb von nur 90 Minuten fielen an der Station des Landes Baden-Württemberg über 100 mm (!) Niederschlag. Nach Angaben des DWD fallen in einem durchschnittlichen Juni (Referenzperiode 1981 - 2010) in Bretten 66 mm. Was sonst also in 30 Tagen an Regen zusammenkommt, kam am 06.06. innerhalb von weniger als einer Stunde vom Himmel. Oder anders gesagt: Binnen 90 Minuten wurden über 150 % der üblichen Monatsniederschlagsmenge aufgezeichnet.
Allein in Bretten liefen über 400 Keller voll. Die sintflutartigen Regenfälle schwemmten Schlamm von Feldern in den Ort. Sämtliche Senken und Unterführungen standen unter Wasser, Straßen und Bahnübergänge wurden überschwemmt. Viele Fahrzeuge wurden beschädigt. Teilweise stand das Wasser bis zu 1,5 Meter hoch. Die Aufräum- und Reinigungsarbeiten dauerten tagelang an (Quelle: PZ-News). Die Gewitterzelle, die sich gegen 18 Uhr bildete und rasch zu einem intensiven Gewitter heranreifte, erweckte den Eindruck als stehe sie stationär über Bretten. Tatsächlich wurde die Zelle aber durchströmt und bildete sich über Bretten ständig neu (siehe Radar). Dadurch fiel quasi ortsfest heftiger Starkregen. Am Südrand bildete sich um etwa 20 Uhr eine weitere (schwächere) Zelle. So schnell sich das Brettener Gewitter mit den ungewöhnlich hohen Regenmengen in kurzer Zeit gebildet hatte, so schnell schwächte es sich gegen 20:15 Uhr wieder ab. Eindrucksvolle Mammatus-Bewölkung des Brettener Gewitters war noch um 21 Uhr fast 110 km nordnordöstlich in Aschaffenburg (BY) zu sehen (siehe Foto oben).
7./8. Juni: Starkregen und Erdrutsche im Alpenraum Am Abend des 07.06. bildete sich über dem Alpenraum ein typisches mesoskaliges konvektives System (MCS), das im Lauf der Nacht nordwärts vorankam und weite Teile Baden-Württembergs und Bayerns erfasste. Stratiforme Niederschläge waren von kräftigen konvektiven Zellen durchstetzt. Diese brachten viele Blitze und Starkregen mit sich. In der Region Salzburg sorgte in der Nacht auf 07.06. ein heftiges Gewitter für sintflutartige Regenfälle, die Hangrutsche, Bachausuferungen und überflutete Keller zur Folge hatten. Eine Lokalbahnstrecke musste in Mittersil aufgrund des hohen Pegelstands der Salzach gesperrt werden (Quelle: ORF Salzburg). In den Bezirken Landsberg und Innsbruck gingen in der Nacht zum 08.06. erneut schwere Gewitter nieder. Besonders betroffen waren das Sellrain- und Paznauntal, wo dutzende Häuser mindestens zum Teil zerstört wurden. Etliche Straßen wurden überflutet und zerstört und Keller liefen voll. Der Bach Melach soll im Ort Kematen nach ersten automatischen Messungen zufolge ein mehr als 100-jähriges Hochwasser erreicht haben. In See ist ein Damm gebrochen und eine Brücke mitgerissen worden. Auch hier wurden nach Murenabgängen mindestens 20 Häuser beschädigt (Quelle: ORF Tirol). In der zweiten Nachthälfte und in der Früh des 08.06. richteten insbesondere Blitzschläge und Starkregen Schäden in BW und BY an. In Gutach im Breisgau (BW) traf ein Blitz einen Bauernhof. Es entstand ein Sachschaden von etwa rund 800.000 Euro. Vielerorts wurde von vollgelaufenen Kellern, überfluteten und von Schlamm und Geröll verschmutzten Straßen berichtet (Quelle: Stuttgarter Zeitung). In München legten Blitze teilweise den S-Bahnverkehr lahm und führten zum Ausfall hunderter Ampeln. In Dierikon im Kanton Luzern (CH) kamen nach Angaben von SRF unter Berufung auf Polizeiangaben in den Fluten zwei Menschen ums Leben.
Text: SB 10. Juni 2015 |