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Donnerstag, 8. August 2013, 22:30 MESZ


Heftige Gewitter

West-/Mitteleuropa

04.08.-07.08.2013


Riesenhagel mit 11,9 cm Durchmesser
auf der Reutlinger Alb bei Undingen (BW)
am Nachmittag des 06.08.2013
© Marco Kaschuba, marcokaschuba.com



Heftige Gewitter wüteten Anfang August 2013 über West- und Mitteleuropa und hinterließen Schäden durch Hagel, Sturm und Starkregenfälle mit Überflutungen. Besonders betroffen waren Teile Frankreichs und die Südosthälfte Deutschlands. In Baden-Württemberg konnte auf der Reutlinger Alb bei Undingen ein Hagelkorn mit einem Durchmesser von 11,9 cm dokumentiert werden, in Zentralfrankreich fiel bis zu 11 cm großer Hagel. Mit Durchzug der Gewitter traten verbreitet schwere Sturm-, örtlich auch Orkanböen auf.



Unwetter über Frankreich, Deutschland und der Schweiz

Nur etwa eine Woche nach den schadenbringenden Unwettern Ende Juli, darunter auch das Reutlinger Hagelunwetter mit Hagelsteinen bis zu 10 cm Durchmesser (siehe Artikel), entluden sich in weiten Teilen West- und Mitteleuropas Anfang August 2013 erneut heftige Gewitter. Vorderseitig eines nur zögerlich ostwärts vorankommenden Höhentroges bildeten sich entlang einer wellenden Kaltfront wiederholt kleine Tiefdruckzentren wie das Gewittertief "Franz" aus. Im Vorfeld der Kaltfront und im Bereich der langgestreckten Tiefdruckrinne entstanden immer wieder Konvergenzgebiete und Konvergenzlinien, in deren Bereich die Luftmassen zusammenströmten und zum vertikalen Ausweichen gezwungen wurden. Durchschwenkende Kurzwellentröge labilisierten die Troposphäre und sorgten durch großräumige Hebungsantriebe für eine verbreitete Auslösung hochreichender Konvektion. Im Übergangsbereich zwischen der präfrontal schwülheißen Südwest- bis Südströmung und der postfrontal einfließenden kühleren Atlantikluft entwickelten sich vom 04. bis 07.08. tageweise von West nach Ost fortschreitend teilweise unwetterartige Gewitter. Als Begleiterscheinung stach neben heftigen Windböen vor allem extrem großer Hagel hervor. In Zentralfrankreich erreichten die Hagelkörner einen Durchmesser von bis zu 11 cm, in Süddeutschland sogar fast 12 cm.

500-hPa-Geopotential, 850-hPa-Temperatur und VIS-Satellitenbilder | Quellen: wetter3.de, fvalk.com
05.08.2013, 12 UTC 06.08.2013, 12 UTC 07.08.2013, 12 UTC

Auffällig bei dieser Unwetterlage war eine von mehreren west- sowie mitteleuropäischen Radiosondenaufstiegen gezeigte und extrem gut ausgeprägte EML (elevated mixed layer, deutsch: entkoppelte, durchmischte Schicht). Eine EML in Mitteleuropa hat ihren Ursprung häufig über der Spanischen Hochfläche, wenn dort die gut ausgebildete und vertikal mächtige konvektive Grenzschicht über die Pyrenäen hinweg nordostwärts advehiert und dabei durch die Überströmung und durch synoptischskalige Prozesse gehoben wird. Einmal abgehoben kann die EML mit einer trogvorderseitigen Südwestströmung bis nach Mitteleuropa geführt werden. Auch Föhn im Lee von Gebirgen, der sich nicht bis in die Täler und ins Flachland durchsetzt, kreiert zuweilen eine EML, dies in Deutschland während unwetterträchtigen Wetterlagen besonders über dem Bayerischen Alpenvorland. Entkoppelte, durchmischte Luftschichten gelten als sehr förderlich für die Ausbildung großen Hagels. Als mitteltroposphärische Schicht mit einer starken vertikalen Temperaturabnahme fungiert sie zunächst als Deckel, der hochreichende Konvektion unterbindet (ausreichend hohe CIN) und unter dem die schwülwarme sowie aufgrund von Evapotranspiration zusätzlich mit Feuchte angereicherte Luft lange festgehalten bleibt. Somit baut sich hohe potentielle Labilität auf, die erst durch großräumige Hebungsprozesse freigesetzt werden kann. Bei Auslösung von hochreichender Konvektion erfahren die Luftpakete nieder- und mitteltroposphärisch im Bereich der EML und häufig im für das Hagelwachstum idealen Temperaturbereich (-5 bis -15 °C) starken Auftrieb. Der hohe Flüssigwassergehalt in der schwülwarmen Luftmasse führt zu einem schnellen Wachstum der Hagelembryos und zur Ausbildung von großen Hagelkörnern. Lässt in solch einer Umgebung genügend hohe Geschwindigkeits- und Richtungsscherung des Windes die Entwicklung von langlebigen Superzellen zu, so ist in deren Umfeld Riesenhagel mit einem Durchmesser um oder über 10 cm möglich. An vielen in Mitteleuropa und in Deutschland aufgetretenen Großhagelereignissen zeigten die umliegenden Radiosondenaufstiege eine markante EML, so beispielsweise beim Münchner Hagelunwetter am 12.07.1984, beim Hagelgewitter in Leipzig am 16.06.2006, beim Hagelunwetter in Villingen-Schwenningen am 28.06.2006, beim Hagelunwetter in Oberbayern nahe dem Starnberger See am 16.07.2010 und vergangene Woche am 27.07.2013 bei der Superzelle über Norddeutschland sowie am 28.07.2013 beim Reutlinger Hagelunwetter.

Radiosonde Stuttgart (BW)
06.08., 14 MESZ
© weather.uwyo.edu
Auch vom 04. bis 07.08.2013 waren die Bedingungen über West- und Mitteleuropa günstig für die Entwicklung heftiger Gewitter in Form von mesoskaligen konvektiven Systemen (MCS) und Superzellen. Ebenso stieg die Gefahr von sehr großem Hagel vor allem zum 05. und 06.08. in einem Korridor von den Pyrenäen über Zentral-/Ostfrankreich, Norditalien und die Westschweiz bis nach Süd- und Mitteldeutschland stark an. In potentiell instabiler und ausreichend gescherter Umgebung war dort eine sehr gut ausgeprägte EML auszumachen, exemplarisch zu sehen am Radiosondenaufstieg vom 06.08., 12 UTC über Stuttgart.

Den Auftakt der mehrtägigen Unwetterlage machte am 04.08. ein MCS, der sich unter großräumiger Hebung vorderseitig eines Kurzwellentroges über der Nordschweiz organisierte und nachfolgend über Südbaden und über die Schwäbische und Fränkische Alb bis nach Tschechien zog. In Ulm (BW) und Waldmünchen (BY) traten schwere Sturmböen bis zu 97 km/h auf, in Tschechien wurde in Kocelovice mit 122 km/h eine Orkanböe registriert. In Sigmaringen sorgten schwere Sturmböen für Schäden in einem Zeltlager, über 30 Personen wurden dabei verletzt. Über Oberbayern, Ostdeutschland und Nordösterreich entwickelten sich im Tagesverlauf etliche Gewitter, die in Niederösterreich mit schadenbringendem Hagel einhergingen.

Am 05.08. entluden sich besonders über Zentralfrankreich unwetterartige Gewitter. Orographisch und durch eine Bodenkonvergenz unterstützt entwickelten sich im und nördlich des Zentralmassivs kräftige Zellen, wovon einzelne superzellulär ausfielen. In Puy-de-Dôme gab es 7 cm großen Hagel. Vichy registrierte eine Orkanböe von 135 km/h, Lurcy-Lévis meldete sogar eine Spitzenböe von 149 km/h. Mit stärkerer Windscherung konnten sich rund um den Ärmelkanal, über den Benelux-Ländern und über der Nordsee Gewitter organisieren. Orographisch bedingt traten über dem westlichen Alpenraum Gewitter auf, in der Nacht zum 06.08. entwickelte sich über dem Mittleren Schwarzwald eine Multizelle.

Der markanteste Unwettertag war der 06.08., als von einem durchschwenkenden Kurzwellentrog mit positiver Vorticityadvektion ein Hebungsimpuls ausging und verbreitet Gewitter ausgelöst wurden. Eine bemerkenswerte Entwicklung vollzog ein vorübergehend schwächelndes MCS über Nordostfrankreich, das im Tagesverlauf in die energiereiche Luftmasse mit hoher CAPE (potentiell verfügbare Konvektionsenergie) über der Südosthälfte Deutschlands wanderte. Ausgehend von kräftigen Entwicklungen über den Vogesen, organisierten sich die Gewitter am Vorderrand des MCS zu einer Gewitterlinie, die mit heftigen Windböen von der Südpfalz und vom Mittleren Oberrhein über Südhessen, Baden-Württemberg und Bayern bis nach Ostdeutschland und Tschechien zog. In Colmar im Elsass hagelte es 4 cm große Körner, ebenso in Altenstadt in Bayern. Mit dem Durchzug der squall line traten verbreitet schwere Sturmböen, örtlich auch Orkanböen auf. Auf der Wasserkuppe konnten 140 km/h gemessen werden, Orkanböen von 119 km/h waren es noch auf dem Weinbiet in der Pfalz oder in Waibstadt (BW). In Rheinstetten bei Karlsruhe wurden orkanartige Böen bis 112 km/h registriert, über den Frankfurter Flughafen fegten schwere Sturmböen bis zu 98 km/h hinweg. Im Bahnverkehr zwischen Karlsruhe und Frankfurt sowie im gesamten Rhein-Main-Gebiet gab es massive Behinderungen. Auch in Ostdeutschland und Tschechien sorgte der Gewitteraufzug für orkanartige Böen, so beispielsweise an der Station Prag-Karlov (CZ) mit 115 km/h. Dazu regnete es in Klinovec (CZ) 77 mm in nur 3 Stunden. Gegen Abend zog aus den Westalpen heraus ein kräftiges MCS über die Nordostschweiz und brachte dort Schäden durch heftige Windböen. Wädenswil hielt eine Spitzenböe von 117 km/h fest. Noch heftiger fielen im Laufe des Abends einige Superzellen über der Mitte Frankreichs aus. Bei Montverdun im Département Loire wurde bis zu 11 cm großer Hagel beobachtet (siehe Bild), gleichzeitig der für ganz Frankreich größte dokumentierte Hagel seit dem 25.05.2009. Kräftige Regenfälle gab es in Clermont-Ferrand oder in Gaillac mit 12-stündigen Niederschlagssummen von 53 mm bzw. 49 mm.

Gewitter am Ochsenkopf (BY)
06.08., 17:06 MESZ
© Bayernwetter.de
Über Sachsen, Thüringen und Nordbayern entwickelten sich im Laufe des 06.08. im Bereich einer präfrontalen Bodenkonvergenz kräftige Gewitter, von denen einige als Superzellen identifiziert werden konnten. Bei Zwickau und Chemnitz fiel bis zu 7 cm, in Glauchau (SN) sogar 8 cm großer Hagel. Über Baden-Württemberg bildete sich ähnlich zum 28.07.2013 ausgehend vom Mittleren Schwarzwald eine gewaltige Superzelle, die im Vergleich zum 28.07. noch kräftiger ausfiel, auch rechts ausscherte und entlang des Nordrandes der Schwäbischen Alb nordostwärts zog. Bereits am 28.07. brachte bis zu 10 cm großer Hagel rund um Tübingen und Reutlingen Schäden in dreistelliger Millionenhöhe (siehe Artikel). Die Superzelle am 06.08., gefolgt von weiteren kräftig ausfallenden Gewittern in der Albregion, produzierte 8 cm große Körner bei Balingen (BW) und Bernloch (BW). Gegen 15:40 Uhr fielen bei Undingen (BW) südlich von Reutlingen sogar bis zu 12 cm große Schlossen. Das größte dokumentierte Hagelkorn hatte einen Durchmesser von 11,9 cm (siehe Titelbild). Der Hagelfund bei Undingen bewegt sich damit in der obersten Liga dokumentierter deutscher Hagelereignisse. Beim Münchner Hagelunwetter 1984 hatte das größte gemessene Hagelkorn 9,5 cm Durchmesser, nach Augenzeugen fiel bis zu 12 cm großer Hagel. Ebenso bis zu 12 cm groß soll der Hagel beim Hagelunwetter in Villingen-Schwenningen 2006 gewesen sein, dokumentiert sind 9,5 cm. Vergangene Woche wurde am 27.07.2013 in Sehnde in Niedersachsen 12 cm großer Hagel beobachtet, einen Tag später am 28.07. gab es 10 cm-Körner bei Reutlingen. Glaubt man etlichen Anwohnern, so findet sich der deutsche Hagelrekord bei Beuerberg östlich vom Starnberger See in Oberbayern. Dort soll am 16.07.2010 13 cm großer Riesenhagel aufgetreten sein. Zweifelfrei festgehalten sind von dieser mächtigen Superzelle allerdings nur 9 cm-Körner bei Pischetsried.

Am 07.08. verlagerten sich die kräftigsten Gewitter langsam ostwärts. Entlang der Kaltfront, die am Nachmittag von Westdeutschland über Luxemburg und Frankreich bis nach Ostspanien reichte, fiel die Gewitteraktivität sehr gedämpft aus. Der Schwerpunkt lag in Südostfrankreich, wo in Gewitterkomplexe eingelagerte Superzellen örtlich nochmals Hagel bis zu 5 cm brachten. Gegen Abend weiteten sich die Gewitter in die Südschweiz und in das Piemont aus, größere Schäden blieben aber aus. Eine isolierte, aber kräftige Entwicklung gab es noch von den Berchtesgadener Alpen entlang der bayrisch-österreichischen Grenze bis nach Südtschechien. Weitere Gewitter mit kräftigen Regenfällen folgten gegen Abend und in der Nacht über Ostdeutschland, bevor im Laufe des 08.08. Wetterberuhigung einsetzte und über dem südöstlichen Mitteleuropa Rekordhitze Einzug hielt.

Gewitter bei Karlsruhe am 06.08.2013 gegen 15:15 MESZ | Quellen: KIT/IMK, DWD
Blick nach Südwesten gegen 15:15 MESZ
© Daniel Köbele
Verlauf von Temperatur und Wind
Segelflugplatz KA-Rheinstetten
DWD-Komposit-Radarbild
15:15 MESZ

Hagel und Auswirkungen in Frankreich | Quellen: Keraunos, infoclimat.fr
11 cm-Hagel in Montverdun, © Loic Ferreira Hagel in Feurs, © FlorentC Schäden, Puy-de-Dôme, © Florian Guerard


Riesenhagel auf der Reutlinger Alb (© Marco Kaschuba)




Satellitenbilder und Niederschlagsradarbilder

Satellitenbilder HRV / Niederschlagsradarbilder Deutschland, 06.08.2013, 11 bis 19 MESZ | Quellen: EUMETSAT, DWD
06.08.2013, 11 MESZ 06.08.2013, 12 MESZ 06.08.2013, 13 MESZ 06.08.2013, 14 MESZ
06.08.2013, 15 MESZ 06.08.2013, 17 MESZ 06.08.2013, 18 MESZ 06.08.2013, 19 MESZ

Satellitenbilder HRV Deutschland (links) und Frankreich (rechts), 05.-08.08.2013 | Quellen: EUMETSAT, DWD, infoclimat.fr
07.08.2013, 19 MESZ 08.08.2013, 07 MESZ 05.08.2013, 19 MESZ 06.08.2013, 19 MESZ


Blitze

Blitzverlauf, -verteilung und -anzahl am 05., 06. und 07.08.2013 | Quelle: LightningMaps.org
05.08.2013 06.08.2013 07.08.2013


Markante Wetterwerte

Deutschland: Windspitzen am 06.08. (links) und 24-h-Niederschlagssummen (rechts) bis 07. bzw. 08.08., 06 UTC
Datenquelle: DWD
Ort Böe
Wasserkuppe (HE)
Weinbiet/Pfalz (RP)
Waibstadt (BW)
Rheinstetten (BW)
Neuhütten/Spessart (BY)
Eisenach (TH)
Meiningen (TH)
Würzburg (BY)
Bad Kissingen (BY)
Frankfurt/Flughafen (HE)
140 km/h
119 km/h
119 km/h
112 km/h
108 km/h
104 km/h
101 km/h
101 km/h
101 km/h
98 km/h
Ort 24-h-RR
Deutschneudorf-Brüderwiese (SN)
Ponitz (SN)
Feldkirchen (BY)
Selb-Lauterbach (BY)
Hechingen (BW)
Nidderau-Erbstadt (HE)
Neuruppin (BB)
Neckargemünd (BW)
Artern (TH)
Berlin-Dahlem
56,0 mm
50,1 mm
49,0 mm
48,5 mm
47,4 mm
37,1 mm
34,7 mm
33,8 mm
30,6 mm
30,3 mm


Text: DK
8. August 2013


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