Dienstag, 26. Januar 2016, 18:30 MEZ
Starkschneefall, Sturm, Eisregen USA 21.01.-23.01.2016 Ausdehnung von "Jonas" über Nordamerika, 23.01.2016, 16:55 UTC Quelle: NOAA GOES |
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Ende Januar 2016 fegte Wintersturm "Jonas" über die Osthälfte der USA und brachte die gesamte Bandbreite extremer Wettererscheinungen mit sich. Millionen von Menschen in dicht besiedelten Regionen an der Ostküste sowie im Raum Washington D.C. und New York erlebten zum Teil Rekordschneefälle. Verbreitet kamen mehr als 30 cm Neuschnee - lokal bis zu 105 cm - bei heftigem Wind und tiefen Temperaturen zusammen, sodass die Kriterien für Blizzard-Bedingungen erreicht wurden. Über 250.000 Menschen waren längere Zeit ohne Strom. Die ausgelöste Sturmflut fiel mit einem Gezeitenmaximum und Meeresspiegelanstieg zusammen, diese führte zu weiträumigen küstennahen Überflutungen mit Rekordwasserständen. Im Übergangsbereich der Frostluft zu deutlich wärmerer Luft trat gefrierender Regen auf. Weiter südlich zeigte sich das Wetter im Vorfeld von "Jonas" in den Südstaaten schwülwarm mit schweren Gewittern (Hagel und einzelne Tornados). Insgesamt richtete der Sturm Schäden über zwei Milliarden US-Dollar an und forderte mindestens 58 Todesopfer.
Wetterlage und Entwicklung
Südöstlich des Tiefkerns fiel Regen, in einem schmalen Bereich nordwestlich des Zentrums, wo die Warmluft in der Höhe über der bodennahen Kaltluft zu liegen kam, auch gefrierender Regen (z.B. in North Carolina). An der Westflanke des Tiefs, zusätzlich mit der südwärts vordringenden Kaltluft, traten verbreitet heftige Schneefälle auf. Während bei Schneestürmen oft 2-3 cm pro Stunde fallen, waren es von Washington D.C. bis New York City (z.B. La Guardia) längere Zeit Raten um 5 cm pro Stunde. In Harrisburg International Airport hielt der Schneefall in dieser Stärke über 16 Stunden von den frühen Morgenstunden bis in die Abendstunden des 23.1. an. Beispielsweise in Nashville (Tennessee) wurde der Schneefall auch von Blitz und Donner begleitet (hohe Instabilität und für winterliche Verhältnisse sehr energiereiche Luft). Ein großer Druckgradient zum westlich und nördlich liegenden Hochdruckgebiet stellte eine weitere Zutat für Blizzard-Verhältnisse - Sturm- bis Orkanböen - dar. Meterhohe Schneeverwehungen sowie hoher Wellengang und Überflutungen zwischen North Carolina und Massachusetts waren die Folge. Insgesamt beeinträchtigte Wintersturm "Jonas" das öffentliche Leben für bis zu 85 Millionen Einwohner, 33 Millionen davon betraf eine Blizzard-Warnung. Im Vorfeld wurde in 12 Bundesstaaten der Ausnahmezustand ausgerufen und bis zum 26.1. über 10.000 Flüge gestrichen. In New York, Long Island und Newark bestand ein Verbot von privaten Autofahrten. Außergewöhnlich neben den enormen Schneemengen war die Ausdehnung von "Jonas". In 31 Bundesstaaten brachte er Schnee: von den Great Plains über den Mittleren Westen im Anfangsstadium der Entwicklung, entlang den Südstaaten (z.B. Alabama, South Carolina), bis zu den Neuenglandstaaten. Die Kaltfront erreichte auch Florida, wo rückseitig am 23.1. beispielsweise in Gainesville Schneeflocken zu beobachten waren, und sogar die Karibik mit Schauern und Gewittern.
Heftige Schneefälle, gefrierender Regen und Sturm Rekordschneefälle ließen bis zu 107 cm Neuschnee in West Virginia in weniger als 36 Stunden zusammenkommen. In 14 Bundesstaaten fiel mehr als 30 cm Schnee, in 6 davon sogar mehr als 60 cm. Dabei wurden an einigen Stationen die Rekorde bisheriger Schneestürme, wie dem Blizzard von 1996 oder dem "President-Day-II-Sturm" im Februar 2003 übertroffen. In den Bundesstaaten Kentucky, Teilen Virginias und den Carolinas kam es auch zu gefrierendem Regen. In der Nacht auf den 23.1. entstand eine mehr als 2 cm dicke Eisschicht bei Old Liberty (Virginia). Durch die Eislast lösten umgestürzte bzw. abgebrochene Bäume und Strommasten Stromausfälle aus. Besonders in Maryland, Delaware und Virginia war der Sturm am stärksten. Die Mittelwinde lagen zum Teil bei 85-90 km/h (Bft. 9-10), die Böen erreichten Orkanstärke.
Rekordflut rund um Delaware Bay und New Jersey; Einordnung Die starken Nordostwinde drückten das Wasser in Richtung der Atlantikküste und am Morgen des 23.1. wurde der Rekordwasserstand von 2,83 m (mehr als 1,2 m über mittlerem Hochwasser) in Lewes, Delaware erreicht. Zuvor lag der Rekord bei 2,80 m während des "Aschermittwoch-Nor'easters" am 6. März 1962. Zusätzlich trug der Vollmond zu einem rund 0,3 m höheren Wasserstand bei (Gezeitenmaximum). In Cape May und Stone Harbor, New Jersey, wurden Wasserstände von Hurrikan Sandy (Oktober 2012) übertroffen. Ein weiterer Grund ist der Meeresspiegelanstieg - also bereits ein höherer mittlerer Wasserstand - an der US-Ostküste. Klimamodelle weisen bereits darauf hin, dass der Anstieg dort stärker verlaufen wird als im globalen Durchschnitt. Im Jahr 2015, welches das rekordwarme Jahr 2014 nochmals um enorme 0,16 K übertraf, zeigte sich jedoch ein auffälliges Gebiet im Nordatlantik südlich von Grönland, in welchem über das Jahr gemittelt rekordkalte Wassertemperaturen gemessen wurden. Nach aktuellen Erkenntnissen verändert das Schmelzwasser des grönländischen Eisschildes die Ozeanzirkulation. Warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko strömt als Golfstrom entlang der US-Atlantikküste nordostwärts, ein Zweig davon erreicht als Nordatlantikstrom Europa. Das salzhaltige Wasser kühlt sich auf dem Weg nach Norden ab, sinkt aufgrund der höheren Dichte in die Tiefe und strömt wieder nach Süden zurück. Da das Schmelzwasser einen Süßwassereintrag (geringere Dichte) verursacht, wird die Tiefenwasserbildung und Durchmischung erschwert und das kalte Wasser sammelt sich oberflächennah (Anomalien bis zu -3 K). Das weiterhin nachströmende warme Wasser aus dem Golf von Mexiko kommt langsamer nach Norden voran (Anomalien über +5 K) und zusätzlich hat warmes Wasser eine größere "Schichtdicke" als kaltes Wasser, also liegt auch der mittlere Meeresspiegel höher. Das Vorhandensein großer Unterschiede in der Feuchtigkeit und Temperatur von Luftmassen bzw. Meeresoberflächentemperaturen auf engem Raum begünstigt die Entstehung starker Niederschläge und Stürme. Einige der stärksten Schneestürme im Osten der USA traten in den letzten 30 bzw. 10 Jahren auf. In einer wärmeren Welt kann durch höhere Temperaturen Wasser schneller verdunsten und regnet sich an anderen Orten stärker ab. Warme Luft hat einen höheren maximalen Wasserdampfgehalt (Sättigungsdampfdruck) als kalte Luft. Durch den anthropogenen Treibhauseffekt, der besonders effektiv bei Kälte und Dunkelheit zu Tage tritt, erwärmen sich die Polarregionen etwa doppelt so schnell wie die Tropen (Wärmerückstrahlvermögen, Eis-Albedo-Feedback) und es zeigen sich mit zunehmender Häufigkeit Warmlufteinbrüche aus niederen in die hohen Breiten. Diese sorgen für große positive Temperaturanomalien an den normalerweise kältesten Orten der Nordhemisphäre (arktische Regionen wie Alaska, Kanada, Grönland, Spitzbergen, Sibirien und angrenzendes Polarmeer). Sogar während der eisigen Polarnacht (üblicherweise um -40°C) können die Temperaturen bis in Gefrierpunktnähe oder sogar darüber steigen. Der Polarfront-Jetstream, der normalerweise die um den Nordpol zentrierte Kaltluft begrenzt, erfährt durch die abnehmenden Temperaturunterschiede häufige Asymmetrien. Die Kaltluft wird in weit amplifizierten Trögen aus den hohen Breiten "herausgeweht" und kann in niederen Breiten für ungewöhnliche Kälte sorgen, auch wenn die Temperaturen für höhere Breiten nicht ungewöhnlich wären. Das Zusammenspiel von wärmerer Luft, die sich z.B. bei auflandigem Wind mit Feuchtigkeit anreichert, mit einbezogener trockenkalter Luft, die für Niederschläge in fester Form kalt genug ist, kann also immer kräftigere Schneefälle auslösen, solange die "Zutaten" dafür gegeben sind. Wo die Luft "zu warm" wird, wird aus kräftigem Schneefall kräftiger Regen. Schneerekorde und Einordnung Stationen wie New York (JFK) und Allentown (PA) registrierten zum ersten Mal seit Aufzeichnungsbeginn mehr als 75 cm Neuschnee durch einen einzigen Wintersturm und noch nie innerhalb eines Tages. Zum ersten Mal kamen in New York und Baltimore bei demselben Sturm 60 cm Neuschnee zusammen, dasselbe gilt für New York und Washington D.C. mit mehr als 50 cm Neuschnee. New York Central Park registrierte mit 68 cm Neuschnee offiziell den zweitstärksten Schneefall seit 1869, während der Rekord von 11.-12. Februar 2006 wenige Millimeter höher liegt und der Unterschied praktisch im Rahmen der Messungenauigkeit. Am Flughafen von Washington D.C. war "Jonas" mit 45 cm Neuschnee der viertstärkste Schneesturm seit 1884, gleichauf mit 5.-6. Februar 2010. Der Knickerbocker-Sturm (27.-29. Januar 1922), bei dem das Dach des gleichnamigen Theaters in der Stadt einstürzte, brachte am selben Ort 71 cm Neuschnee. Im Stadtteil Dulles summierte sich der Neuschnee auf 74 cm, 2010 betrug die akkumulierte Schneehöhe 82 cm. Auch bei "Jonas" stürzte in Virginia das Dach eines Theaters ein. In Philadelphia fiel mit 57 cm Neuschnee sogar die durchschnittliche Neuschneemenge einer gesamten Saison (ebenfalls viertstärkster Schneesturm). Die Ausdehnung der Schneefälle von Florida bis Massachusetts kommt dem "Sturm des Jahrhunderts" aus dem März 1993 nahe. Von der NOAA, die die Auswirkungen der "Nor'easter" gewichtet durch Schneemengen, betroffene Fläche und Bevölkerung auf einer sogenannten NESIS-Skala bewertet, wurde Jonas als "Kategorie-4-Schneesturm" eingestuft. Stärker waren seit 1950 nur die Stürme im März 1960, Januar 1996 und März 1993 (die beiden letzten: Kategorie 5).
Schneesturm in New York und der Weg über den Atlantik
"Jonas" zog am 24.1. schließlich auf den Atlantik hinaus, traf dort wieder auf eine barokline Zone und konnte sich erneut verstärken. Von der FU Berlin bekam dieses Tiefdruckgebiet den Namen "Karin". Es bringt erneut Sturm und Regen nach Großbritannien, wo bereits im Dezember zum Teil Ausnahmezustand durch Hochwasser herrschte. Text: FB 24.-26. Januar 2016 |