Montag, 27. Februar 2017, 14:45 MEZ
Sturm (Orkantief "Thomas") West- und Mitteleuropa 22.-24.02.2017 Satellitenbild Orkan "Thomas" am 23.02.. 15 UTC Quelle: Woksat, |
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Orkan "Thomas" sorgte Ende Februar 2017 für Schäden in einigen Ländern in West- und Mitteleuropa. Mit Spitzenböen bis zu 153 km/h (Capel Curig, Wales) bzw. verbreitet auftretenden schweren Sturmböen kam es in Irland, Großbritannien, den Benelux-Staaten, dem Norden Frankreichs, sowie in Deutschland, Polen und Tschechien zu Schäden an Gebäuden, Autos und der Infrastruktur durch umgestürzte Bäume und Stromleitungen. In Irland waren zwischenzeitlich 60 000 Menschen ohne Strom. Es gab Behinderungen im Straßen-, Schienen- und Flugverkehr. Insgesamt kamen durch den Orkan mindestens 5 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt. In den deutschen Mittelgebirgen sorgte Tauwetter im Vorfeld und während Orkan "Thomas" für einen raschen Anstieg der Flusspegel. In einigen Bundesländern traten kleinere Flüsse über die Ufer, zu größeren Schäden kam es allerdings nicht. Im Warmsektor von "Thomas" stiegen am 23.02. in Süddeutschland die Temperaturen örtlich auf über 20 °C an. Neue Dekadenrekorde der Höchsttemperatur konnten an einigen Orten in Baden-Württemberg und Bayern verzeichnet werden.
Wetterlage und Entwicklung Zur Monatsmitte des Februars 2017 dominierte mit "Erika" ein kräftiges Hochdruckgebiet das Wettergeschehen in Mitteleuropa. Am 16.02. schob sich der zugehörige Rücken weiter in den Osten Europas, sodass vom Atlantik ein Höhentrog nach Mitteleuropa vorstoßen konnte. Der Trog kam in der Folge weiter in den Südosten Europas voran. Am Boden stellte sich erneut hoher Luftdruck (Hoch "Felicitas") ein. Mit Tief "Querkin", welches vom 16.02. bis zum 18.02. vom Nordwestatlantik bis nach Norwegen zog, veränderte sich das Strömungsmuster über dem nördlichen Mitteleuropa allmählich. Über Nordeuropa entwickelte sich nach dem Durchzug von "Querkin" eine kräftige Frontalzone, die durch einen Warmluftvorstoß über dem Atlantik (10 °C in 850 hPa bei ca. 52 °N) verstärkt wurde. Tief "Rolf" bezog die erwähnten warmen, subtropischen Luftmassen in seine Zirkulation mit ein und verlagerte sich am 19.02. und 20.02. zunächst von Island bis in die Mitte Norwegens. Dabei erreichte der Druckgradient zwischen dem Azorenhoch (1030 hPa) und "Rolf" ca. 40 hPa. Der Jetstream reichte am 20.02. mit einem Maximum von 130 kn (240 km/h) von Neufundland über den Atlantik und Skandinavien bis weit in den Osten Russlands. In dieser fast schon geradlinigen Westströmung waren die Entstehungsbedingungen für Sturmtiefs sehr günstig. Ein Kaltluftvorstoß westlich von Grönland ließ an diesem Tag über dem Nordatlantik Tief "Stefan" entstehen. Hebung an der Vorderseite des zugehörigen Höhentroges sorgte für einen raschen Druckfall im Zentrum des Tiefs (ca. 20 hPa in 24 Stunden). "Stefan" zog von Island über das Nordmeer in Richtung Skandinavien. Starke Divergenz in der Höhe im Ausströmbereich des Jetstreams an der Südostflanke von "Stefan" sorgte am 22.02. für die Entstehung eines zweiten Zentrums über Südschweden. Über Skandinavien liegend hatte das Tiefdruckgebiet seinen Entwicklungshöhepunkt erreicht und schwächte sich nachfolgend bei leichter nördlicher Verlagerung zunehmend ab. Nach Sturmtief "Stefan" befand sich die Frontalzone weiter im Süden als zuvor. Kräftige Höhenwinde herrschten von Großbritannien über die Nordsee bis nach Deutschland und Polen vor.
Sturmtief "Stefan" am 22. Feburuar Mit einem Bodendruck von unter 970 hPa befand sich Sturmtief "Stefan" am 22.02. über dem Westen Norwegens. Das oben angesprochene zweite Zentrum des Tiefs lag über dem Süden Schwedens. Das realtiv weit ausgedehnte Windfeld von "Stefan" reichte vom südlichen Skandinavien bis nach Süddeutschland. In diesem Bereich kam es verbreitet zu stürmischen Windböen, gebietsweise auch zu Sturmböen und schweren Sturmböen. Auch mehrere Großstädte in Deutschland konnten Sturm- oder sogar schwere Sturmböen melden. Berlin-Tegel maß eine schwere Sturmböe von 86 km/h, München-Stadt, Dresden-Klotzsche und Chemnitz registrierten Sturmböen von 81 km/h, 80 km/h und 78 km/h. In Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Berlin gab es Meldungen von umgestürzten Bäumen, die teilweise Autos und Häuser beschädigten. In Büchenbach (Bayern) wurde eine Person durch eine umstürzende Wand verletzt. Auch in Südschweden meldeten die Behörden blockierte Straßen durch umgestürzte Bäume. Insgesamt kam es durch "Stefan" nur zu kleineren Schäden.
Tauwetter in den deutschen Mittelgebirgen Die über dem Atlantik von den Azoren aus weit nach Norden vorstoßende Warmluft (s. oben) wurde an den Vorderseiten der Tiefs "Rolf" und "Stefan" bis nach Mitteleuropa transportiert. Temperaturen von über 0 °C in Höhen bis über 1500 m in Verbindung mit Regen wechselnder Intensität resultierten in Tauwetter in den Hochlagen der deutschen Mittelgebirgen. Schneehöhen von ca. 20 cm bis 45 cm (auf dem Fichtelberg auch über 70 cm) schrumpften binnen drei Tagen auf ca. 0 cm bis 20 cm (auf den Gipfeln auf ca. 30 cm - 60 cm). Zu dem geschmolzenen Wasser kamen noch kräftige Regenfälle ausgelöst durch die durchziehenden Sturmtiefs hinzu. Am 20.02. regnete es entlang der Kaltfront von Tief "Rolf" vor allem im Bayerischen Wald und Thüringer Wald kräftig. In Schmücke im Thüringer Wald kamen 26,0 mm Niederschlag bis 07 Uhr am 21.02. zusammen. Am 22.02. verzeichneten einige Orte um den Brocken im Harz die höchtsen Regenmengen (Braunlage: 52,1 mm in 24 Stunden bis 23.02. 07 Uhr). Durch das Tauwetter und die Regenfälle kam es zu kleinerem Hochwasser im Umfeld der Mittelgebirgen. Am meisten Flüsse traten in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Thüringen über die Ufer. In Bayern war vor allem das Gebiet um den Fluss Regen, sowie der Oberlauf des Mains betroffen. Der Wasserstand der Steinach in Fürth am Berg stieg binnen drei Tagen um ca. 1,50 an. Die dritte Meldestufe wurde dadurch aufgrund des Pegelstands von über 2,50 m erreicht. In Niedersachsen lag der Pegelstand der Leine teilweise oberhalb der zweiten Hochwassermeldestufe. Zu größeren Schäden durch das Hochwasser kam es nicht.
Orkantief "Thomas" am 23. Februar Die nördliche Strömung an der Westseite tiefem Luftdrucks über Island resultierte am 21.02. in einem Kaltluftvorstoß über dem Nordatlantik. Die durch die Tiefs "Rolf" und "Stefan" bereist ausgeprägte Frontalzone wurde dadurch nomals verstärkt. Warme subtropische Luftmassen lagen weit im Norden über dem Atlantik (5 °C in 850 hPa bei ca. 50 °N). Mit dem Kaltluftvorstoß verstärkte sich der horizontale Temperaturgradient, sodass sich eine Differenz von ca. 10 K auf nur wenigen 100 Kilometern einstellte. Hebung an der Vorderseite des nach Süden vorstoßenden Höhentrogs machte die Entstehung eines Bodentiefs am Mittag des 21.02. knapp 1000 Kilometer westlich von Irland möglich. Innerhalb von 24 Stunden sank der Bodendruck in der Folge von ca. 1005 hPa auf unter 980 hPa. Die rasche Entwicklung des Tiefs, welches mittlerweile den Namen "Thomas" bzw. im englischen Sprachraum "Doris" erhalten hatte, ist wahrscheinlich neben der günstigen Lage vorderseitig des Höhentrogs auch mit der sogenannten "Dry Intrusion" verbunden. Dabei gelangt trockene Luft stratosphärischem Ursprungs in die obere Troposphäre und scheibt sich unter die feuchte Luft in Zentrumsnähe des Tiefs. Auf dem Wasserdampfbild vom 23.02. 03 UTC ist die geringe Konzentration über Irland gut ersichtlich. Druckfall resultiert in der Regel durch die "Dry Intrusion" da die feuchten Luftmassen gehoben werden und es zur Kondensation kommt. Die frei werdende latente Wärme führt zu einer Erwärmung der Luft, was gleichzeitig mit einem Druckfall verbunden ist. Neben dem Druckfall hat die Dry Intrusion bei einigen Tiefdruckgebieten nach dem Modell der Shapiro-Keyser-Zyklone auch die Ausbildung eines Sting Jets (hohe Windgeschwindigkeiten an der Süd- bzw. Südwestflanke des Tiefs) zur Folge. Ob bei "Thomas" ein Sting Jet vorhanden war lässt sich nicht abschließend bestätigen. Die hohen Windgeschwindigkeiten im Landesinnern von England könnten allerdings auf einen Sting Jet zurückzuführen sein. Die Dry Intrusion von stratosphärischer Luft ist jedenfall auf den Wasserdampfbildern gut erkennbar.
Die trockene Luft, welche sich in der Folge (ab 9 UTC am 23.02.) spiralförmig um den Tiefdruckkern legte, ist auch auf den VIS-Satellitenbildern erkennbar. Orkantief "Thomas" verlagerte sich am 23.02. in relativ kurzer Zeit von Irland über die Mitte Großbritanniens zur Nordsee und zog anschließend über den Norden Deutschlands nach Polen. Nach der raschen Intensivierung zur Beginn blieb der Bodendruck in der Folge knapp unter 980 hPa, das Orkantief konnte sich bei der Zugbahn über der Nordseee nicht weiter verstärken. Entlang der Kaltfront des Tiefs kam es gerade im Norden Deutschlands in der labil geschichteten Luft zu einzelnen Gewittern. Die stärksten Windböen konnten in Deutschland teilweise in Verbindung mit den Gewittern gemessen werden. Zu Beginn der Entwicklung konnten bereits an der Westküste Irlands Orkanböen gemessen werden (Mace Head: 140 km/h). Sogar am Flughafen der Hauptstadt Dublin reichte es für eine Orkanböe von 119 km/h. In Irland und Nordirland kam es verbreitet zu schweren Sturmböen, welche zahlreiche umgestürzte Bäume zur Folge hatten. Beschädigungen an den Stromleitungen sorgten für Ausfälle im Stromnetz, von denen zwischenzeitlich mehr als 60 000 Menschen betroffen waren. Es kam zu Behinderungen im Zug- und Flugverkehr. In Wales verzeichnete Capel Curig (216 m) mit 153 km/h die stärkste Windböe in Europa in tieferen Lagen während Orkan "Thomas". Hier und in England kam es verbreitet zu schweren Sturmböen und orkanartigen Böen, an den Küsten teilweise auch zu Orkanböen. 3 Menschen kamen bei dem Sturm in Großbritannien ums Leben, mehrere weitere wurden durch Äste oder Dachziegel verletzt. Auch aus Frankreich und den Benelux-Staaten gab es Berichte über Schäden durch Orkan "Thomas". Boulogne-sur-Mer am Ärmelkanal maß eine Spitzenböe von 115 km/h. In Eindhoven und am Amsterdamer Flughafen konnte eine Spitzenböe von 101 km/h verzeichnet werden. Es kam wie auch in England zu Schäden an Autos und Gebäuden durch umgestürzte Bäume. LKWs kippten teilweise durch die kräftigen Böen um. In Belgien starben mindestens zwei Personen, darüber hinaus kam es zu einigen Verletzten in den Benelux Staaten und Frankreich. Am Nachmittag des 23.02. erreichte das Windfeld von "Thomas" auch weite Teile von Deutschland. Zunächst wurde die Westhälfte vom Sturm erfasst. In Nordrhein-Westfalen kam es verbreitet zu Sturmböen. In Lüdenscheid konnte mit 108 km/h eine orkanartige Böe gemessen werden. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt und blockierten die Straßen, es kam zu Schäden an Gebäuden. Behinderungen im Zugverkehr gab es vor allem in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Hier mussten Streckenabschnitte zwischenzeitlich gesperrt werden. In Wuppertal stürzte ein Baum auf einen ICE Zug. Im Laufe des späten Nachmittags erfasste das Windfeld dann auch die Osthälfte Deutschlands. Verbreitet gab es stürmische Böen bzw. Sturmböen, in einigen Regionen schwere Sturmböen und örtlich auch orkanartige Böen. Auf dem Brocken im Harz lag die Spitzenböe während "Thomas" bei 158 km/h. Aus fast jedem Bundesland gingen Meldungen über umgestürzte Bäume und kleineren Schäden an Gebäuden ein. Insgesamt wurden in Deutschland während des Sturms mindestens 5 Menschen verletzt. Auch in Polen und Tschechien richtete "Thomas" am 24.02. noch vereinzelt kleinere Schäden an.
Neue Dekadenrekorde der Höchsttemperatur in Süddeutschland
Text: JW 27. Februar 2017 |