Donnerstag, 30. Juni 2016, 18:00 MESZ
Hitze / heftige Gewitter Mitteleuropa 23. - 26.06.2016 Gewitterzelle nahe Wolfsburg, 24.06.2016 Quelle: Stormchaser Brandenburg |
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Während der ersten Hitzewelle des Jahres in Mitteleuropa Ende Juni 2016 stiegen die Temperaturen regional auf über 36 °C. Die schwülheiße Luft mit Ursprung im tropischen Atlantik wurde rasch wieder durch trockenkühlere Atlantikluft ersetzt. Dieser Übergang ging mit der Entwicklung heftiger Gewitter einher, die zum wiederholten Mal im Frühsommer 2016 Starkregen und Überflutungen auslösten. Groß Berßen (NI) registrierte extreme 150,7 mm in 24 Stunden (bis 24.06.). Zudem waren die Gewitter sehr blitzreich (1,5 Millionen Blitze in vier Tagen), brachten Sturmböen und großen Hagel (über 6 cm in den Niederlanden, über 9 cm bei Reutlingen) mit sich.
Wetterlage und Entwicklung Nach der letzten Gewitter- und Hochwasserlage Mitte Juni 2016 setzte von Westen und Süden her Geopotential- und Luftdruckanstieg ein, vorderseitig eines neuen Höhentrogs über dem Atlantik wölbte sich um den 22.06. über Mitteleuropa ein Höhenrücken auf. Zwischen Tief "Lea" südlich Islands und Hoch "Wolfgang" über dem östlichen Mitteleuropa kam eine südwestliche Strömung in Gang, die schwülheiße Luft nordostwärts transportierte und die erste kurze Hitzewelle des Jahres einläutete. Im Süden Deutschlands stiegen die Temperaturen im 850 hPa-Niveau von knapp über 5 °C auf über 20 °C. Am Nachmittag des 23.06. und in der Nacht auf den 24.06. wurde nördlich der Alpen vorübergehend eine 23 °C-Isotherme analysiert. Dies machte unter Mithilfe starker Sonneneinstrahlung ein Anstieg der Bodentemperaturen von rund 20 °C auf 35-36 °C an den heißesten Orten Deutschlands möglich. Da sich der atlantische Höhentrog unter Amplitudenverkürzung ab dem 23.06. zügig ost- und später nordostwärts verlagerte, stieg das Gewitterrisiko rasch an und in der Folge wurde die Hitze wieder aus Mitteleuropa verdrängt.
Vorderseitig des atlantischen Höhentrogs sorgten Gebiete mit positiver Vorticityadvektion für kräftige Hebung in der mittleren Troposphäre, die ermöglichte, die CIN (Convective Inhibition) zu überwinden und die vorhandene konditionelle Instabilität auszulösen. Zusätzlich ermöglichte Divergenz im Bereich eines Jetstreaks über Westeuropa Druckfall in Bodennähe. So entwickelten sich Tief "Neele", welches von der Biskaya nordostwärts bis nach Norwegen zog, sowie Tief "Marine" über Südostdeutschland, welches eine Zugbahn über die Ostsee nach Norwegen einschlug. Ab dem 24.06. kam im Trogbereich von Westfrankreich und der Nordsee her kühlere und trockenere Luft ostwärts voran. Kräftige Kaltluftadvektion ließ die Temperaturen am 26.06. auch über Deutschland spürbar sinken. Ein Tag später ging auch das Gewitterpotential über dem östlichen Mitteleuropa wieder deutlich zurück.
Heftige Gewitter zwischen Frankreich und Polen Von 22. bis 26.06. bildeten sich täglich schwere Gewitter, wobei sich der Schwerpunkt immer etwas nach Osten verlagerte. In der energiereichen Luft fielen die Gewitter sehr blitzreich aus, schlossen sich zu Clustern zusammen und blieben häufig auch nachts aktiv. Nach Überwinden der CIN durch orographische bzw. dynamische Hebung kam es zu Begleiterscheinungen in Form von sehr starkem Regen, großem Hagel und schweren Sturmböen. In vier Tagen wurden 1,5 Millionen Blitze registriert.
Am 23.06. entwickelten sich von Benelux bis in den Nordwesten Deutschlands heftige Gewitter. Im Umfeld der deutsch-niederländischen Grenze in NRW kam Hagel mit über 6 cm Durchmesser vom Himmel. In Bremen und im südöstlichen Niedersachsen führte Starkregen zu Überflutungen, Bäume stürzten auf Bahngleise. Die Station in Groß Berßen (NI) verzeichnete 147,2 mm Niederschlag innerhalb von 6 Stunden, mehr als 100 mm innerhalb von 3 Stunden. Das Hurricane-Festival in Scheeßel (NI) musste unterbrochen werden.
Die Höchsttemperaturen erreichten zuvor über 35 °C im Südwesten Deutschlands. In der Westhälfte lagen die Taupunkttemperaturen regional über 20 °C. Am 24.06. stiegen die Temperaturen in der Südosthälfte nochmals etwas an, an einigen Stationen wurden neue Dekadenrekorde für das letzte Junidrittel aufgestellt. In Magdeburg und Artern war dies gleichbedeutend mit der Einstellung des Junirekords, auf der Zugspitze wurde der bestehende Junirekord um 0,8 K übertroffen.
Am 24.06. formierten sich zwei größere Gewitterkomplexe, die sehr starken Regen, großen Hagel und eine sehr hohe Blitzrate mit sich brachten. Der erste überquerte die Gebiete von Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen bis nach Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. In Stromberg im Hunsrück standen nach den Gewittern Wasser- und Schlammmassen bis zu zwei Meter hoch in den Straßen. Nach Erdrutschen wurde der Katastrophenalarm ausgerufen. Die Station Stromberg registrierte 59,9 mm Niederschlag in wenigen Stunden. Abends entstand ein mesoskaliges konvektives System (MCS) vom Süden Baden-Württembergs ausgehend mit eingelagerten kräftigen Gewittern. Das Southside-Festival in Neuhausen ob Eck bei Tuttlingen musste abgebrochen werden. Sturmböen rissen Zelte ab, 82 Menschen wurden durch Blitzschlag verletzt.
Infolge enormer Regensummen stand nach Ausuferung der Echaz auch die Reutlinger Innenstadt unter Wasser. Zum Teil machten einzelne Erdrutsche Straßen unpassierbar. In der Region wurden zudem 9 cm große Hagelsteine gefunden. Der MCS verlagerte sich über das nördliche Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen nordwärts und blieb bis zum folgenden Vormittag aktiv, als er die Region Hamburg/Bremen erreichte.
Am Morgen des 25.06. entgleiste ein Regionalzug bei Bacharach durch einen Erdrutsch auf der Strecke, auch die Ausweichstrecke wurde unterspült. Zehn Menschen wurden verletzt. Nachmittags waren die Gebiete vom Alpenvorland bis zur Ostsee von Gewittern betroffen. Im Erzgebirge kam es zu Überflutungen und Hagelschlag. Nordöstlich von Berlin entwurzelte ein Tornado Bäume, riss Stromleitungen ab und beschädigte Häuser. Die höchsten Regensummen kamen in Bayern (89,4 mm in Waldkirchen-Richardsreut), Sachsen (56,6 mm in Schönteichen-Cunnersdorf) und Schleswig-Holstein (63,3 mm in Glückstadt) zustande. Am Folgetag konzentrierte sich die Gewitteraktivität auf einen Streifen vom Baltikum über Ostpolen bis nach Kroatien und Norditalien.
Text: FB 29. Juni 2016 |