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Mittwoch, 31. Juli 2013, 22:30 MESZ


Extreme Hitze / Heftige Gewitter

West-/Mitteleuropa

26.07.-30.07.2013


Superzelle bei Reutlingen, Schwäbische Alb (BW),
am Nachmittag des 28.07.2013 gegen 17:00 Uhr
© Bastian Werner, wetterfotografie.de



Eine extreme Hitzewelle mit Höchsttemperaturen weit über 35 °C erfasste gegen Ende Juli 2013 große Teile Mitteleuropas. In Rheinfelden zeigte das Quecksilber 38,6 °C, europaweiter Spitzenreiter war mit 41,6 °C der Ort Banja Luka in Bosnien und Herzegowina. Nach der Hitze entwickelte sich in Frankreich ein Derecho mit Windböen bis zu 165 km/h. In Nord- und Süddeutschland brachten Superzellen schwere Schäden durch Großhagel mit einem Durchmesser von bis zu 12 cm in Sehnde in Niedersachsen und bis zu 10 cm in Reutlingen auf der Schwäbischen Alb.



Extreme Hitze, aber nur wenige Rekordtemperaturen

Nach vorangehenden Wochen mit überwiegend trockenem, sonnenscheinreichem und sehr warmem, aber nicht extrem heißem Sommerwetter, baute sich gegen Ende Juli 2013 vor allem über Mitteleuropa und dem nahen Südosteuropa eine kurze, aber markante Hitzewelle auf. Wie oft bei mitteleuropäischen Hitzeintermezzi machte dies ein südwärts vorstoßender Höhentrog über dem Ostatlantik möglich, auf dessen Vorderseite heiße Luft nordafrikanischen Ursprungs in breitem südwestlichem Zustrom nach Zentraleuropa gelangte. Ab dem 25.07. setzte zunächst über Südwesteuropa massive Warmluftadvektion ein, die im 850-hPa-Niveau (etwa 1.500 Meter) die 20 °C-Isotherme bis nach Südfrankreich und Norditalien vorstießen ließ. Zum 26. und 27.07. legte sich das Gebiet der extrem warmen Luft auch über Süd- und Mitteldeutschland sowie über den Alpenraum. Am 28.07., 0 UTC zeigte der Radiosondenaufstieg über Stuttgart im 850-hPa-Niveau 24,4 °C - die in diesem Niveau höchste Temperatur seit dem 20.08.2012, als während einer rekordebringenden Hitzewelle 25,2 °C gemessen wurden. (siehe Artikel).

Ein ähnlich markanter und kurzer Vorstoß subtropischer Heißluft nach Mitteleuropa vollzog sich auch zum 27.07.1983, als beim Münchner Radiosondenaufstieg bis zu 25,0 °C im 850-hPa-Niveau erreicht wurden. Am selben Tag datierten in Gärmersdorf in der Oberpfalz die ersten 40,2 °C als höchste jemals in Deutschland gemessene Temperatur, bevor während des Hitzesommers im Jahr 2003 Freiburg und Karlsruhe mit jeweils 40,2 °C gleichzogen. Seitdem teilen sich die drei Städte den deutschen Rekord der höchsten gemessenen Temperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (siehe auch Extremwerte).

Vom 25. bis 27.07. verharrte der Langwellentrog quasistationär über dem Ostatlantik vor der europäischen Küste, vergrößerte seine Amplitude nach Süden und beeinflusste mit seinen eingelagerten Randtrögen vorerst nur Westeuropa. Der damit verbundene und weiter östlich stattfindende Warmlufttransport stützte über dem europäischen Kontinent einen umfangreichen Höhenrücken, der zu seiner größten Erstreckung bis an die Nordspitze Skandinaviens reichte. Ab dem 28.07. kam mehr Bewegung in das großräumige Strömungsmuster, als mehrere markantere Kurzwellentröge auf der Vorderseite des Höhentroges nordostwärts propagierten, von Westen her bereits etwas kühlere Atlantikluft einfloss und sich die heißeste Luft nach Ostdeutschland, in den Ostalpenraum und ins nahe Ost- bzw. Südosteuropa zurückzog. Mit dem Durchschwenken eines scharf gekrümmten und sich schnell verlagernden Kurzwellentroges, der am 28.07. noch über Portugal, am 30.07. aber schon über der Slowakei auszumachen war, wurde die subtropische Heißluft einen Tag vor Monatsende endgültig aus dem mitteleuropäischen Raum verdrängt.

500-hPa-Geopotential und 850-hPa-Temperatur | Quelle: Wetterzentrale
25.07.2013, 00 UTC 26.07.2013, 00 UTC 27.07.2013, 00 UTC 28.07.2013, 00 UTC 29.07.2013, 00 UTC

Mit der Hitzewelle kletterten die Temperaturen in vielen mitteleuropäischen Ländern auf Höchstwerte über 35 °C, auf dem nördlichen Balkan teilweise sogar über 40 °C. Der Höhepunkt der Wärme wanderte dabei von Tag zu Tag ostwärts, am 27.07. erreichte zunächst West- und Mitteleuropa die höchsten Temperaturen. In Frankreich stieg in Carpentras im südlichen Rhonetal das Quecksilber bis auf 39,3 °C, Allzeitrekorde wurden aber nicht verbucht. Ebenso keine Allzeitrekorde gab es in der Schweiz, Sion stellte aber mit einer Höchsttemperatur von 37,2 °C einen neuen Julirekord auf. Die landesweit höchste Temperatur verzeichnete Basel mit 37,3 °C, deutlich unter dem Allzeitrekord von 41,5 °C, der am 11.08.2003 in Grono in Graubünden datiert. Auch in Deutschland schnitt der 27.07. am heißesten ab. Der Münchner Flughafen erreichte mit 35,3 °C einen neuen Monatsrekord, sonst wurden einige Temperaturrekorde für die dritte Julidekade verbucht wie beispielsweise in Gießen, Erfurt oder Meiningen. Im DWD-Messnetz meldete Rheinfelden in Südbaden ein Temperaturmaximum von 38,6 °C und war an diesem Tag offiziell der heißeste Ort Deutschlands und der zweitwärmste in ganz Europa. Noch heißer wurde es an der vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) betriebenen Wetterstation in der Karlsruher Hertzstraße, einst Standort der DWD-Wetterwarte Karlsruhe. Dort konnte eine Höchsttemperatur von 40,2 °C gemessen und einmal mehr, wenn auch inoffiziell, der zuvor in den Jahren 1983 und 2003 erreichte Allzeitrekord der Höchsttemperatur für Deutschland eingestellt werden. Seit der Auflösung der DWD-Wetterwarte in der Karlsruher Hertzstraße Ende Oktober 2008 führt das IMK seit dem 21.01.2009 die Wetteraufzeichnungen am identischen Standort weiter (siehe auch Wetterstation Karlsruhe Hertzstraße). Die offizielle Wetterstation wurde zum November 2008 in das etwa 7 Kilometer weiter südsüdwestlich liegende und ländlicher geprägte Rheinstetten verlegt. Dort stieg die Temperatur am 27.07. auf eine etwa 2 Kelvin kühlere Höchsttemperatur von 38,1 °C. Wäre die DWD-Wetterwarte von ihrem ursprünglichen Standort in der Hertzstraße nicht verlegt worden, hätte Karlsruhe den Deutschlandrekord von 40,2 °C am 27.07.2013 offiziell zum vierten Mal eingestellt. Tiefergehende und ausführliche historische Betrachtungen sowie Vergleiche der Stationen Rheinstetten und Karlsruhe Hertzstraße finden sich hier.

Am 27.07. trat die größte Hitze in Süddeutschland entlang des Hoch- und Oberrheins auf. Bemerkenswert ist, dass dort zum Zeitpunkt der Tageshöchsttemperaturen äußerst trockene Luft vorherrschte. Mit recht lebhaftem Süd- bis Südwestwind meldete der Baden Airpark südlich von Karlsruhe um 18 MESZ eine relative Luftfeuchte von nur 17 %, in Freiburg im Breisgau waren es zum selben Zeitpunkt 16 %. Bei einer Lufttemperatur von 37,8 °C wurde dort ein Taupunkt von gerade einmal 7,7 °C gemessen, was einer sehr großen Taupunktdifferenz von etwa 30 °C gleichkommt. Grund hierfür war eine perfekt ausgeprägte konvektive Grenzschicht, die bei hoher Einstrahlung und ausreichend großen Windgeschwindigkeiten einen guten vertikalen Austausch in der Luftmasse zuließ. Dabei erwärmten sich Luftpakete, die laut numerischen Analysen in etwa 1.500 Metern rund 23-24 °C aufwiesen, beim Durchreichen bis zur Erdoberfläche trockenadiabatisch um etwa 1 Kelvin pro 100 Höhenmeter. Dies erklärt die entlang des Hoch- und Oberrheins verbreitet erreichten Höchsttemperaturen zwischen rund 36 und 38 °C.

Einen Tag später verlagerte sich der Hitzeschwerpunkt zum 28.07. ostwärts Richtung Norditalien und Österreich. Im äußersten Süden Deutschlands stiegen die Temperaturen in der Bodenseeregion und im Allgäu mit Föhnunterstützung örtlich auf Rekordwerte, so in Konstanz (BW) mit 36,7 °C oder in Oberstdorf (BY) mit 35,3 °C. In Oberitalien wurde es in Trento mit 38,9 °C am heißesten, in der Alpenrepublik teilten sich Bad Goisern und Waidhofen/Ybbs mit jeweils 39,2 °C die höchste Temperatur. Bad Goisern stellte damit einen neuen Bundeslandrekord für Oberösterreich auf, zuvor führte Enns die Liste an mit 39,0 °C vom 06.07.1957. Ebenfalls erneuerte Salzburg-Freisaal mit 38,6 °C den Bundeslandrekord und verdrängte den Salzburger Flughafen mit 37,7 °C vom 11.07.1984 auf Platz zwei. Neue Stationsrekorde konnten in Bregenz, Villach, Klagenfurt und Rax aufgestellt werden, der bundesweite Allzeitrekord von 39,7 °C vom 29.07.1983 aus Dellach im Drautal blieb allerdings unangetastet. Auch die zweithöchste jemals in Österreich gemessene Temperatur von 39,5 °C am 20.07.2007 in Andau wurde verfehlt. Am 29.07. konnten zum Ende der Hitzewelle auf dem nördlichen Balkan die insgesamt heißesten Temperaturen registriert werden. In Ungarn stieg das Quecksilber in Baja auf genau 40,0 °C, der Landesrekord datiert allerdings weiterhin am 21.07.2007 in Kiskunhalas und beträgt 41,9 °C. In Bosnien und Herzegowina zeigte das Thermometer in Banja Luka sogar 41,6 °C, aber auch dort wurde der Rekordwert verfehlt, der mit 43,1 °C am 24.08.2007 in Mostar erreicht wurde.

Höchsttemperaturen Mitteleuropa [°C] vom 26.07. - 28.07.2013 | Quelle: DWD Ninjo
26.07.2013 27.07.2013 28.07.2013


Tägliche Tmax Deutschland 26.07.-28.07., aufgestellte Stationsrekorde Deutschland, höchste Tmin Deutschland 28.07.
Datenquelle: DWD
Ort 26.07. Tmax
Bad Mergentheim-Neunkirchen (BW)
Kitzingen (BY)
Rheinfelden (BW)
Wutöschingen-Ofteringen (BW)
Obersulm-Willsbach (BW)
Waghäusel-Kirrlach (BW)
Freiburg (BW)
34,9 °C
34,8 °C
34,8 °C
34,7 °C
34,6 °C
34,6 °C
34,4 °C
Ort 27.07. Tmax
Rheinfelden (BW)
Kitzingen (BY)
Freiburg (BW)
Rheinstetten (BW)
Ohlsbach (BW)
Waghäusel-Kirrlach (BW)
Lahr (BW)
38,6 °C
38,4 °C
38,3 °C
38,1 °C
37,7 °C
37,6 °C
37,6 °C
Ort 28.07. Tmax
Schwandorf (BY)
Piding (BY)
Konstanz (BW)
Sigmarszell-Zeisertsweiler (BY)
Amberg-Unterammesricht (BY)
Wielenbach (BY)
Schorndorf-Knöbling (BY)
37,6 °C
37,1 °C
36,7 °C
36,5 °C
36,5 °C
36,4 °C
36,4 °C

Stationsrekorde Tmax Datum Art
Görlitz (SN)
Gießen (HE)
Meiningen (TH)
Erfurt/Flughafen (TH)
Gera-Leumnitz (TH)
Rheinstetten (BW)
Karlsruhe (BW)
Straubing (BY)
Lahr (BW)
München/Flughafen (BY)
Konstanz (BW)
Oberstdorf (BY)
35,9 °C
35,2 °C
33,9 °C
34,4 °C
36,0 °C
38,1 °C
40,2 °C
35,3 °C
37,6 °C
35,3 °C
36,7 °C
35,3 °C
28.07.
27.07.
27.07.
27.07.
27.07.
27.07.
27.07.
28.07.
27.07.
27.07.
28.07.
28.07.
eingestellter Allzeitrekord
Dekadenrekord
Dekadenrekord
Dekadenrekord
Dekadenrekord
Allzeitrekord (seit 2008)
eingestellter Allzeitrekord
Dekadenrekord
eingestellter Monatsrekord
Monatsrekord
Allzeitrekord
Allzeitrekord
Ort 28.07. Tmin
Kubschütz, Kr. Bautzen (SN)
Zeitz (ST)
Berlin-Tegel (BE)
Lichtenhain-Mittelndorf (SN)
Marienberg (SN)
Berlin-Marzahn (BE)
Hoyerswerda (SN)
25,8 °C
24,2 °C
24,1 °C
23,7 °C
23,6 °C
23,4 °C
23,3 °C



Heftige Gewitter: Mesoskalige konvektive Systeme/Komplexe (MCS/MCC), Derecho und Superzellen

Superzelle, Loiret (F)
26.07., 01 MESZ
© Keraunos / Xavier Delorme
In der größten Hitze verhinderte Hochdruckeinfluss über Mitteleuropa weitgehend die Entwicklung von Schauern und Gewittern. Die bodennah eingeflossene Heißluft war überwiegend zu trocken für die Ausbildung hochreichender Feuchtkonvektion. Absinkprozesse im Bereich des aufgewölbten Höhenrückens bildeten oberhalb der Grenzschicht und in den mittleren Luftschichten Höheninversionen aus, die die Troposphäre stabilisierten und für eine hohe konvektive Hemmung (CIN, convective inhibition) sorgten. Großräumige Antriebe sowie von einem starken Jetstream ausgehende Windscherung und Dynamik fehlten als Auslöser und Bedingung für organisierte Gewittersysteme. Ganz anders sah die Situation Richtung Westeuropa aus, wo auf der Ostseite des Höhentroges im Übergangsbereich zwischen heißer Subtropikluft und kühlerer Atlantikluft bereits ab dem 25.07. wiederholt heftige Gewitter entstanden. Den Auftakt einer Serie schwerer Gewitter machte die Nacht vom 25. zum 26.07., als im Lee der Westpyrenäen vor der südwestfranzösischen Atlantikküste über dem Golf von Biskaya ein organisierter Gewitterkomplex entstand. Vorderseitig eines Kurzwellentroges begünstigte großräumige Hebung und die Advektion feuchtwarmer Luftmassen die Bildung eines mesoskaligen konvektiven Systems (MCS), das auf Satellitenbildern beeindruckende Ausmaße annahm und auf nordnordostwärtigem Kurs quer über Frankreich hinweg bis zu den Beneluxländern zog, wo es sich im Laufe des Vormittags schließlich abschwächte. Auch Superzellen waren im MCS eingelagert wie beispielsweise im Département Loiret (siehe Bild). Superzellen organisieren sich bei genügend großer Geschwindigkeits- und Richtungsscherung des Windes, wie sie bevorzugt in labilen und feuchten Warmluftregimen unter herannahenden Jetstreams (für Geschwindigkeitsscherung) und im Bereich sich trogvorderseitig bildender Bodentiefs (für Richtungsscherung) vorzufinden ist. Die Zellen definieren sich durch einen rotierenden Aufwind (Mesozyklone) und gehen häufig mit heftigen Wettererscheinungen wie sehr großem Hagel, Orkanböen, sintflutartigen Regenfällen und zuweilen auch Tornados einher. Mit Durchzug des MCS traten im Westen Frankreichs vielerorts schadenbringende Windböen auf. Im Département Charente wurden orkanartige Windböen bis zu 115 km/h, weiter südlich in Saint-Sulpice-et-Cameyrac schwere Sturmböen bis 101 km/h gemessen. Fleury-les-Aubrais meldete bis zu 4 cm großen Hagel.

Radiosonde, Trappes
27.07., 00 UTC
© weather.uwyo.edu
Ein noch größeres und intensiveres Gewittersystem erlebte Frankreich eine Nacht später vom 26. zum 27.07., als bei nahezu gleichen atmosphärischen Bedingungen im Küstengebiet Südwestfrankreichs erneut ein MCS entstand. Ein im Vergleich zur Vornacht stärkerer Hebungsantrieb und kräftigere Warmluftadvektion ließen das System zu einem mesoskaligen konvektiven Komplex (MCC) heranreifen, ein per Definition großer kreisrunder Gewitterkomplex, dessen Wolkenoberseite für mindestens 6 Stunden auf einer Fläche von mindestens 50.000 km² eine Temperatur von -52 °C oder weniger aufweisen muss. Die nordnordöstliche Zugbahn parallel zur Höhenströmung verlief dieses Mal etwas weiter im Landesinneren, in den Morgenstunden des 27.07. erreichte der MCC Belgien und das äußerste Westdeutschland. Zuvor zeigte der nächtliche Radiosondenaufstieg aus Trappes in Nordfrankreich excellente präkonvektive Bedingungen. Rund 1.300 J/kg CAPE (potentiell verfügbare Konvektionsenergie) lässt hohe Labilität und hohe Gewitterbereitschaft erkennen. In Kombination mit großer bodennaher Geschwindigkeitsscherung bildete sich im Verlauf an der Vorderseite des Systems eine intensive Gewitterlinie (squall line) aus. Bodennahe Richtungsscherung ließ besonders am Südostrand des Systems Superzellen entstehen, die örtlich großen Hagel brachten. Im Département Lot-et-Garonne wurden Hagelsteine mit Durchmesser zwischen 5 und 7 cm beobachtet. In Frankreich überschritt die squall line das Kriterium eines sogenannten Derecho; eine durchgehende, mindestens 400 Kilometer lange Gewitterlinie, entlang derer verbreitet konvektiv verursachte Windböen über 93 km/h auftreten. An mehr als 10 Stationen im Bereich des Derecho wurden in der Nacht vom 26. zum 27.07. Windböen über 90 km/h registriert. Poitiers meldete eine Orkanböe von 131 km/h, in Pauillac trat sogar eine Windböe von 165 km/h auf. Das letzte Derecho über Frankreich liegt bereits einige Jahre zurück und bildete sich im Sommer 2010.

Am Vormittag des 27.07. lag der mesoskalige konvektive Komplex über den Beneluxländern und überdeckte auch den äußersten Westen Deutschlands. Eine eingelagerte Superzelle verursachte vor allem im belgischen Lüttich (Liège) erhebliche Schäden durch Überflutungen, vollgelaufene Keller und große Mengen an Hagel. Im weiteren Verlauf zog der MCC unter Abschwächung weiter nach Nordosten und nahm Nordwest- und Norddeutschland ein. Kräftig geregnet hat es dabei in Dornum in Niedersachsen mit 32 mm in nur einer Stunde oder in Leck in Schleswig-Holstein mit einer stündlichen Niederschlagssumme von 41 mm. Am Südostrand des Systems bildete sich unter Einbezug der energiereichsten Luft über Nordrhein-Westfalen eine langlebige Superzelle, die über Niedersachsen und Sachsen-Anhalt fast bis nach Berlin vorankam. Mit ihr fiel in einer langen Schneise von Gütersloh über Bielefeld, Hameln, Hannover, Peine, Gifhorn bis nach Wolfsburg, Helmstedt und in die Altmark örtlich sehr großer Hagel, beispielsweise in Stromberg (NW) bis zu 5 cm große Körner und im niedersächsischen Arpke, Alt-Wolfsburg oder Sievershausen 7 bis 8 cm große Schlossen. Bei Sehnde (NI) trat sogar Hagel mit einem Durchmesser von bis zu 12 cm auf. Damit produzierte die Superzelle für mitteleuropäische Verhältnisse außergewöhnlich großen Hagel, dessen Durchmesser am oberen Ende auf der Liste der jemals in Deutschland beobachteten maximalen Hagelgrößen zu finden ist. Mit dem Hagelunwetter gingen Schäden in dreistelliger Millionenhöhe einher, viele Dächer wurden durchschlagen, Autos schwer beschädigt. Zum Spätnachmittag und Abend entwickelten sich entlang einer Konvergenzlinie wiederum über Zentralfrankreich kräftige Gewitter, die sich während der Nacht zum 28.07. in Nordfrankreich, Belgien und Westdeutschland mit verbreitet kräftigen Windböen in Sturmstärke bemerkbar machten. Mit Einfließen schwülerer Luftmassen löste es mitten in der Nacht auch über Südwestdeutschland aus. Kräftige Gewitter brachten vor allem lokale Starkregenfälle, Freudenstadt im Nordschwarzwald meldete 33 mm Regen innerhalb einer Stunde.


Hagelsturm in Sehnde (NI) (© Alexander Kruppa)




Am 28.07. kamen die Druck- und Frontensysteme zögerlich weiter ostwärts voran. Zum Nachmittag lag die Kaltfront von Gewittertief "Andreas" mit moderaten Niederschlägen über Nordostfrankreich und Westdeutschland. Präfrontal konnte sich die Luft über Süddeutschland nochmals deutlich über 30 °C erwärmen. Durch die wirkende frontogenetische Querzirkulation entstand am Nachmittag im Frontenvorfeld über der Oberrheinregion eine Konvergenzlinie, die sich langsam ostwärts über den Schwarzwald hinweg Richtung Württemberg verlagerte. Entlang der Konvergenz bildeten sich in der instabilen Warmluft zunächst über dem Oberrheingraben etliche Gewitterzellen. Ausgehend vom Mittleren Schwarzwald entstand ab etwa 16:00 Uhr am Südrand der jungen Gewitterlinie eine Superzelle, die auf ihrem Weg ostnordostwärts entlang des Nordrandes von Schwäbischer und Fränkischer Alb eine massive Verstärkung erfuhr und allem voran sehr großen Hagel produzierte. Der Stuttgarter Radiosondenaufstieg zeigte um 12 UTC mit einer CAPE von rund 500 J/kg nur moderate Labilität, aber eine für Superzellen günstige Rechtsdrehung des Windes mit der Höhe (Veering). Mit einem hohen Flüssigwassergehalt in der advehierten feuchten Luftmasse sowie mit einer EML (elevated mixed layer) in der mittleren Troposphäre herrschten günstige atmosphärische Bedingungen für die Ausbildung großen Hagels vor. In Rangendingen (BW) wurde bis zu 4 cm großer Hagel beobachtet. Bei Rottenburg (BW) fiel 6 cm, bei Frickenhausen (BW) sogar 8 cm großer Hagel. Wie so häufig bei Schwergewittern während Südwestwetterlagen traf es am heftigsten die Region rund um Reutlingen und Tübingen südlich von Stuttgart. Vor allem dort richteten bis zu 10 cm große Hagelsteine schwere Schäden an Gebäuden, Autos, Anlagen und in der Landwirtschaft an. Die Schadensumme wird vorläufig auf mindestens 200 Millionen Euro geschätzt. Auf ihrem weiteren Weg gen Nordosten traf der Niederschlagskern der Superzelle Schwäbisch Gmünd (BW), wo eine stündliche Regenmenge von 38 mm gemessen werden konnte. In Wassertrüdingen (BY) am Rande der Fränkischen Alb gab es sogar eine Stundensumme von 47 mm. Bereits zwei Tage zuvor bildete sich am Nachmittag des 26.07. ausgehend vom Ostrand des Nordschwarzwaldes im Bereich konvergierender Bodenwinde ein weiteres Hagelgewitter, das in Pforzheim (BW) 4 cm große Schlossen brachte.


Satellitenbilder, Niederschlagsradarbilder, Auswirkungen der Superzelle am Nordrand der Schwäbischen Alb

Satellitenbilder HRV (high resolution visible) Deutschland, 28.07., 15:00 bis 19:00 MESZ | Quelle: EUMETSAT
28.07.2013, 15 MESZ 28.07.2013, 16 MESZ 28.07.2013, 17 MESZ 28.07.2013, 18 MESZ 28.07.2013, 19 MESZ

Niederschlagsradarbilder Deutschland und Zoom BW, 28.07., 15:00 bis 19:00 MESZ | Quelle: DWD
28.07.2013, 15 MESZ 28.07.2013, 16 MESZ 28.07.2013, 17 MESZ 28.07.2013, 18 MESZ 28.07.2013, 19 MESZ

Webcamsequenz vom Durchzug der Superzelle bei Pfullingen (BW) | Quelle: www.pfullingen-wetter.de, Peter Tobies
17:02 MESZ 17:07 MESZ 17:13 MESZ

Schäden und Auswirkungen der Superzelle
Nach Hagelschlag bei Reutlingen (BW)
© Marc Puskeiler
Hagelschäden bei Holzmaden (BW)
© Chris Kranich
Rasthof Gruibingen an der BAB 8
Quelle: SVZ BW


Video aus der Region Reutlingen (© Marco Kaschuba)




In der Nacht zum 29.07. und am 29.07. tagsüber setzte sich über großen Teilen der Schweiz und über Baden-Württemberg ein mesoskaliges Regengebiet fest, das durch konvektive und gewittrige Einlagerungen verstärkt wurde. Innerhalb 24 Stunden regnete es in Gösgen im Schweizer Kanton Solothurn 91 mm. Dazu war es in der Südschweiz sehr windig, Locarno meldete eine Sturmböe von 87 km/h. In Stuttgart-Schnarrenberg waren es 24-stündig 72 mm, innerhalb 36 Stunden sogar 109 mm Niederschlag. Im langjährigen Mittel sind dort im gesamten Juli lediglich 63 mm üblich. Die letzten markanten Unwetter der hitzebeendenden gewittrigen Serie wirkten ab dem Nachmittag des 29.07. bis zum Morgen des 30.07. über Norditalien und vom östlichen Alpenraum bis an die polnische Ostseeküste. Dabei hagelte es in Bergamo (I) bis zu 6 cm große Schlossen. In Vlasim in Tschechien fegten Windböen bis zu 143 km/h hinweg, Hejnice (CZ) registrierte 87 mm Niederschlag in nur einer Stunde.


Maximale 24-h-Niederschlagssummen Deutschland und Mitteleuropa | Datenquelle: DWD
Deutschland: Ort bis 29.07., 6 UTC Regen
Feldberg/Schwarzwald (BW)
Schwäbisch Gmünd-Weiler (BW)
Breitnau (BW)
Rottenburg-Kiebingen (BW)
Renningen-Ihinger Hof (BW)
Eisenbach (BW)
Stammbach-Querenbach (BY)
60,3 mm
54,5 mm
46,8 mm
43,9 mm
41,9 mm
40,9 mm
38,2 mm
Mitteleuropa: Ort bis 30.07., 6 UTC Regen
Gösgen (CH)
Robiei (CH)
Simonswald-Obersimonswald (BW)
Elblag (PL)
Gütsch (CH)
Beznau (CH)
Stuttgart-Schnarrenberg (BW)
90,8 mm
84,8 mm
82,8 mm
76,9 mm
76,0 mm
72,4 mm
71,7 mm


Satellitenbilder Übersicht

Satellitenbilder IR/VIS chronologisch zu ausgewählten Terminen maximaler Gewitteraktivität | Quelle: sat24.com
26.07.2013, 04:00 MESZ 26.07.2013, 09:00 MESZ 27.07.2013, 02:00 MESZ 27.07.2013, 14:00 MESZ
28.07.2013, 00:00 MESZ 28.07.2013, 19:00 MESZ 29.07.2013, 10:00 MESZ 29.07.2013, 22:00 MESZ

Satellitenbilder HRV (high resolution visible) | Quelle: EUMETSAT
26.07.2013, 07:00 MESZ 27.07.2013, 08:00 MESZ 27.07.2013, 20:00 MESZ 28.07.2013, 17:00 MESZ


Niederschlagsradarbilder Übersicht

Niederschlagsradarbilder markanter Gewittersysteme in Frankreich und Deutschland | Quellen: infoclimat.fr, DWD
26.07.2013, 02:00 MESZ 27.07.2013, 04:30 MESZ 27.07.2013, 21:00 MESZ 28.07.2013, 21:30 MESZ
27.07.2013, 14:30 MESZ 28.07.2013, 01:30 MESZ 28.07.2013, 16:45 MESZ 29.07.2013, 18:30 MESZ


Text: DK
31. Juli 2013


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