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Montag, 25. Juni 2012, 19:30 MESZ


Unwetterartige Gewitter

Mitteleuropa, Alpenraum

Deutschland, Österreich, Schweiz
Polen, Tschechien

16.-21.06.2012


Nachtgewitter mit Blitzeinschlag
Oberbayern (D), 19.06.
© Damian W. (Wetterzentrale-Forum)


Mitte Juni 2012 stellte sich über Zentraleuropa eine über mehrere Tage andauernde schwülwarme bis schwülheiße und instabile Wetterlage ein. In deren Verbindung gingen vom 16. bis 21.06. vor allem über Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz mehrfach und regional heftige Gewitter nieder, die mit Starkregen, Überschwemmungen, Hagelschlag und Sturm für erhebliche Schäden sorgten.


WETTERLAGE ÜBER ZENTRALEUROPA

Nach einer vorangegangenen, für die Jahreszeit deutlich zu kühl ausgefallenen Woche, drehte der Juni 2012 ab Mitte des Monats wettertechnisch für mehrere Tage kräftig auf. In der oberen Troposphäre positionierte sich das langwellige Trog-Rücken-Muster der planetaren Frontalzone über dem europäischen Raum relativ stationär, so dass über längere Zeit hinweg ein Höhentrog über dem Ostatlantik verweilte und sich über Osteuropa ein Höhenrücken manifestierte. Zentraleuropa und der Alpenraum befanden sich dabei im Übergangsgebiet zwischen Trog und Rücken. Die großräumige Druckkonstellation und die damit einhergehende südwestliche Strömung begünstigte in der Südosthälfte Europas die Zufuhr feuchtwarmer bis feuchtheißer Luftmassen. Gleichzeitig verblieb die Nordwesthälfte des europäischen Kontinents in kühlerer Atlantikluft.

500-hPa-Geopotential und Bodendruck | Quelle: wetter3.de
16.06.2012, 12 UTC 17.06.2012, 12 UTC 18.06.2012, 12 UTC
19.06.2012, 12 UTC 20.06.2012, 12 UTC 21.06.2012, 12 UTC

Die Temperaturkarten im 850-hPa-Niveau, etwa 1.500 Meter über dem Meeresspiegel entsprechend, verdeutlichen die über mehrere Tage hinweg ähnlich ausfallende Temperaturverteilung über Europa. In der Meteorologie werden Temperaturkarten für das 850-hPa-Niveau erstellt, da in dieser Höhe der Einfluss des heterogenen Untergrundes und die Land-See-Gebirge-Verteilung größtenteils vernachlässigbar ist. Damit können unterschiedliche Luftmassen unabhängig von der im Sommer häufig stark ausfallenden tageszeitlichen, bodennahen Erwärmung besser dargestellt werden. Zumeist drängten sich die Isothermen über dem mitteleuropäischen Raum besonders stark, dies vor allem am 16. und 18.06.

850-hPa-Temperatur | Quelle: wetter3.de
16.06.2012, 12 UTC 17.06.2012, 12 UTC 18.06.2012, 12 UTC
19.06.2012, 12 UTC 20.06.2012, 12 UTC 21.06.2012, 12 UTC

Mehrere, in der Höhenströmung eingelagerte Kurzwellentröge streiften vom 16. bis 21.06. den zentraleuropäischen Kontinent und sorgten für Labilisierung und Hebungsprozesse. Mit deren Passagen kamen jeweils mehr oder weniger kräftig ausfallende Bodenzyklogenesen in Gang, die, gekoppelt mit den Höhenwinden, Frontensystemen, bodennahen Strömungskonvergenzen und zuvor stattgefundener Einstrahlung, für die Auslösung teilweise heftiger Gewitter verantwortlich waren. Im Alpenraum trug die Orographie entscheidend dazu bei, dass sich regional unwetterartige Gewitter ausbildeten. Insgesamt waren über Mitteleuropa und über dem Alpenraum die entscheidenden Zutaten für die Gewitterentstehung knapp eine Woche lang gegeben: feuchte, energiereiche Luftmassen, labile Schichtung und häufig bereitgestellte Auslösemechanismen für die Entwicklung hochreichender Konvektion mit mächtigen Gewitterwolken.


CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE


16.06.: Schwerpunkt Ostdeutschland, Nordtschechien, Polen

Am 16.06. entwickelten sich vor allem in einem Streifen von Nordbayern über Sachsen und Brandenburg bis nach Polen hinein kräftige Gewitter. Auslöser dafür war ein wellender Frontenzug von Tief "Gisela", der verbunden mit leichten bis mäßigen Regenfällen diagonal über der Mitte Deutschlands verlief. Südöstlich der Front stiegen die Temperaturen in der Warmluft auf über 30 °C. Zunächst entstanden im Laufe des Nachmittags orographisch hervorgerufene Gewitter entlang des Erzgebirges. In den Abendstunden weitete sich die Gewitteraktivität in niedrigeres Terrain von Nordbayern bis nach Polen aus. Der Hauptantrieb für die Gewitterbildung geht hierbei auf die an der Front wirkende Querzirkulation zurück, durch welche die Warmluft Hebung erfährt. Ein über Tschechien entstandenes Bodentief sorgte zudem für konvergente Winde über Sachsen und Westpolen, so dass linienartig Gewitterzellen emporsprossen.

Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum:
Abgedeckte Dächer und entwurzelte Bäume durch heftige Windböen, z.B. Fabianów (PL). Überflutete Straßen, z.B. Mogilno (PL) oder Sohland/Spree (SN). Hagel bis 3 cm, z.B. Liberec (CZ) oder Lunzenau (SN). Schwere Sturmböen, z.B. Zinnwald-Georgenfeld (SN) mit 90 km/h.

24-h-Niederschlagssumme 16./17.06., 6 UTC - 6 UTC und Temperaturmaxima 16.06. | Quelle: DWD
24-h-Niederschlag [mm] 16./17.06. Höchstwerte der Temperatur [°C] 16.06.

16.06.2012, 18:13 UTC, NOAA IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern
Radarbild, 16.06., 22:00 MESZ
Quelle: DWD
Auswahl 24-h-Niederschlag, 6 UTC bis 6 UTC
Quelle: DWD
Ort 16./17.
Rauschenbach (SN)
Zinnwald-G. (SN)
Quickborn (SH)
Sohland/Spree (SN)
Tannenberg (SN)
Poznan (PL)
Görlitz (SN)
Rheinstetten (BW)
36 mm
36 mm
33 mm
31 mm
26 mm
25 mm
17 mm
1 mm




18.06.: Schwerpunkt Vormittag Westdeutschland, am Abend Nordostdeutschland, Polen

Shelfcloud bei Korschenbroich (NRW)
am Morgen des 18.06.
Nachdem am 17.06. ein durchschwenkender Höhenrücken vorübergehend ruhigeres und stabileres Wetter brachte, lebte am 18.06. die Gewittertätigkeit über Mitteleuropa wieder kräftig auf. In den Morgenstunden erreichte von Südwesten her Tief "Heidi" die westdeutsche Grenze und verlagerte sich zum Abend bis zur Ostsee. In der oberen Troposphäre stellte ein Kurzwellentrog kräftige Hebung mittels differentieller positiver Vorticityadvektion bereit. Das Resultat der Dynamik war ein kräftiger, bogenförmiger und mit Shelfcloud ausgestatteter Gewitterverbund (linkes Bild), der am Vormittag über Nordrhein-Westfalen und unter Abschwächung über Niedersachsen hinweg zog und vereinzelt Hagel bis 2 cm Korngröße brachte.

Nach einer ruhigeren Passage der Tagesmitte, kam es ab dem frühen Nachmittag im Bereich des Bodentiefs über Nordostdeutschland bei großer Windscherung und bodennaher Strömungskonvergenz zur Ausbildung einer kräftigen Gewitterlinie (squall line), die nachfolgend ostwärts bis auf Westpolen übergriff. Zuvor erreichten die Temperaturen im warmen Südostwind weit über 30 °C, in Südbrandenburg wurden sogar 33 °C gemessen. Mit der Passage der Gewitterlinie und Winddrehung auf West gab es einen bis zu 15 °C großen Temperatursturz. Heftige Windböen bis nahezu Orkanstärke traten auf, Downbursts mit Starkregen und Hagel richteten erhebliche Schäden an, dies vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, z.B. auf Rügen (MV), in Rostock (MV), Barth (MV), Bergzow (SA) oder Brunn (BB), aber auch in Polen, z.B. in Plocicz.

Am späten Abend des 18.06. erreichte ein weiteres Hebungsgebiet den Alpenraum. In der energiereichen Luftmasse im nördlichen Alpenvorland konnte sich dabei über dem Ostallgäu und über Oberbayern ein kräftiger Gewittercluster entwickeln, der auf seinem ostwärtigen Kurs vor allem hohe Regenmengen produzierte und kleinkörnigen Hagel fielen ließ. An einer privaten Wetterstation in Murnau am Staffelsee (BY) kamen dabei 51 mm in nur 1 Stunde zusammen. Auch sonst gab es mitunter kräftige Niederschläge (siehe Grafik und Tabelle).

Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum:
Vor allem Schäden an Gebäuden, Autos und in der Landwirtschaft durch orkanartige Windböen in Westpolen und besonders im Nordosten Deutschlands, z.B. Barth (MV) mit 104 km/h. Großer Hagel von 6 bis 7 cm Korngröße, z.B. Blumenthal (SA) oder Schaprode (MV). Überflutete Straßen, entwurzelte Bäume und beschädigte Stromleitungen.

24-h-Niederschlagssumme 18./19.06., 6 UTC - 6 UTC und Temperaturmaxima 18.06. | Quelle: DWD
24-h-Niederschlag [mm] 18./19.06. Höchstwerte der Temperatur [°C] 18.06.

18.06.2012, 17:00 UTC, MSG VIS
Quelle: sat24
Radarbild, 18.06., 19:00 MESZ
Quelle: DWD
Auswahl 24-h-Niederschlag, 6 UTC bis 6 UTC
Quelle: DWD
Ort 18./19.
Oberammergau (BY)
Wielenbach (BY)
Bad Kohlgrub (BY)
Attenkam (BY)
Irschenberg-K. (BY)
Seeg (BY)
Obere Firstalm (BY)
Rheinstetten (BW)
45 mm
42 mm
34 mm
33 mm
28 mm
26 mm
23 mm
-

Video vom Durchgang der squall-line in Rostock mit heftigem Downburst (Sturm, Starkregen und Hagel).
(Quelle: Youtube, © PlanetFahrrad)






19.06.: Schwerpunkt Oberbayern, Oberschwaben, Mitteldeutschland

Nachtgewitter im Loisachtal (BY), 18./19.06.
© Peter (Rhoenpitt), (Wetterzentrale-Forum)
Zu Beginn des 19.06. beschäftigte der Gewitterkomplex vom Vorabend zunächst noch den Süden Bayerns mit Starkregenfällen, Blitz und Donner. Zum Morgengrauen löste sich dieser mehr und mehr auf und die Niederschläge gingen deutlich zurück. Gleichzeitig erstrecke sich am Vormittag über dem Westen und Südwesten Deutschlands ein Wolkenband entlang der Luftmassengrenze zwischen subtropischer Luft im Südosten und kühler Atlantikluft im Nordwesten. Gelegentlich fiel aus den Wolken etwas Regen. Spannendes vollzog sich während des Nachmittags über dem Hunsrück und Pfälzer Bergland, inmitten des schwach ausgeprägten Regengebiets. Eine sich rasch intensivierende Gewitterzelle nahm von hier aus ihren Weg gen Nordosten quer über Mitteldeutschland auf und regenerierte sich am Südostrand der Luftmassengrenze und stets an der Quelle zur energiereichen Luft ständig neu, bis sie am Abend über Sachsen nach über 6 Stunden Durchhalten zerfiel und sich auflöste. Aufgrund der langen Lebensdauer des Gewitters und Augenzeugenberichten zufolge, war von einer superzellulären Struktur auszugehen.

In den frühen Abendstunden bildete sich im Lee der Alpen ein ausgedehntes Bodentief von Süddeutschland bis Tschechien aus. Mit dessen Hilfe konnte die feuchtwarme Gewitterluft über der Südosthälfte Deutschlands mit Strömungskonvergenzen und Hebung aktiviert werden. Zunächst entstanden in den frühen Abenstunden an der berüchtigten Allgäukonvergenz am Nordalpenrand wiederholt teilweise heftige Gewitter, die gemäß der Höhenströmung und mit Starkregen und Hagel ostwärts über Oberbayern bis ins Chiemgau zogen. Später entwickelten sich auch über Oberschwaben und entlang der schwäbischen Alb niederschlagsreiche und hagelbringende Gewitterzellen. In die Nacht auf den 20.06. hinein entstanden dann auch weiter nordostwärts über Nordbayern, Thüringen und Sachsen örtlich unwetterartige Gewitter.

Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum:
Hagel mit 4 bis 5 cm Korndurchmesser, z.B. Farchant (BY), Schenklengsfeld (HE) oder Munderkingen (BW). Überflutete Keller, z.B. Wonfurt (BY) oder Haßfurt (BY). Schadenbringende Blitzschläge während Nachtgewitter, z.B. Bautzen (SN) oder Boxberg (SN).

24-h-Niederschlagssumme 19./20.06., 6 UTC - 6 UTC und Temperaturmaxima 19.06. | Quelle: DWD
24-h-Niederschlag [mm] 19./20.06. Höchstwerte der Temperatur [°C] 19.06.

19.06.2012, 15:50 UTC, NOAA VIS
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern
Niederschlagsradarbild, 19.06., 1:15 MESZ
Quelle: DWD
Niederschlagsradarbild, 19.06., 22:00 MESZ
Quelle: DWD

24-h-Regen BW, 19.06., 9 UTC bis 20.06., 9 UTC
Quelle: HVZ BW
Auswahl 24-h-Niederschlag, 6 UTC bis 6 UTC
Quelle: DWD
Ort 19./20.
Heyda bei Riesa (SN)
Messstetten (BW)
Bad Muskau (SN)
Boxberg (SN)
Plauen (SN)
Halle (SA)
Bad Hersfeld (HE)
Rheinstetten (BW)
48 mm
48 mm
45 mm
42 mm
41 mm
35 mm
27 mm
4 mm




20.06.: Schwerpunkt Oberbayern (München), Österreich, Tschechien

Überflutungen in München (BY)
© Roman Schweda, (WZ-Forum)
Der 20.06. startete zunächst ruhig, bevor in den Nachmittagstunden in der Südosthälfte Deutschlands abermals heftige Gewitter niedergingen. Der erste Gewitterherd kristallisierte sich am bayerischen Alpenrand und über Oberbayern heraus. Hier interagierten die südwestliche Höhenströmung, das Ausbilden des alpinen Pumpens, die ausreichende Labilisierung durch einen herannahenden Kurzwellentrog und die feuchtwarme Luftmassen vorbildlich miteinander, so dass sich ab dem frühen Nachmittag teilweise heftige multizelluläre Gewitter mit Starkregen, Hagel und Sturmböen entluden. Durch nur schwache Luftdruckgegensätze und einer nicht allzu starken Höhenströmung verharrten die Gewitter lange an Ort und Stelle und bewegten sich nur zögerlich weiter nordostwärts Richtung Donau, Bayerischer Wald und Tschechien. Aufgrund der langsamen Verlagerungsgeschwindigkeit der Systeme traten vielerorts Überflutungen und Überschwemmungen durch anhaltenden Starkregen auf. Davon betroffen war auch die bayerische Hauptstadt München. Allein in 1 Stunde fielen an der Wetterstation München-Stadt stattliche 38 mm Niederschlag.

Ein anderer Gewitterherd bildete sich am Thüringer Wald aus, wo orographisch unterstützt Gewitter entstanden. Auch diese wiesen eine nur geringe Zuggeschwindigkeit auf, so dass lokal hohe Regensummen mit folgenden Überflutungen auftraten. Weiter östlich gingen auch über dem Mühl- und Waldviertel in Nordösterreich Gewitterzellen hoch, welche nachfolgend vor allem über Südtschechien schadenbringende Windböen mit entwurzelten Bäumen sowie heftige Regenfälle mit Überflutungen produzierten, z.B. in Volary (CZ) mit 43 mm/2 h.

Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum:
Hagelschlag, z.B. Kiefersfelden (BY) und Lofer (A) mit jeweils 5 cm Korngröße, Kufstein (A) mit 4 cm. Zahlreiche Überflutungen und vollgelaufene Keller in Bayern, z.B. in München, Germannsdorf, Bad Tölz, oder Egmating. Verkehrschaos in München. Örtliche Schlammlawinen. 1 Mensch ertrank in den Fluten.

12-h-Niederschlagssumme 20./21.06. und Temperaturmaxima 20.06. | Quelle: DWD
12-h-Niederschlag [mm] bis 20.06., 18 UTC 12-h-Niederschlag [mm] bis 21.06., 6 UTC Höchstwerte der Temperatur [°C] 20.06.

20.06.2012, 15:27 UTC, NOAA VIS
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern
Radarbild, 20.06., 17:00 MESZ
Quelle: DWD
Auswahl 24-h-Niederschlag, 6 UTC bis 6 UTC
Quelle: DWD
Ort 20./21.
Mengersgereuth-H. (TH)
Plzen (CZ)
Coburg (BY)
Untergriesbach-S. (BY)
České Budĕjovice (CZ)
Berchtesgaden/Jenner (BY)
München-Stadt (BY)
Rheinstetten (BW)
61 mm
60 mm
60 mm
57 mm
51 mm
51 mm
43 mm
-



Auswahl 24-h-Niederschlag Österreich
Quelle: ZAMG
Ort/Österreich 20.
Hirschenkogel (NÖ)
Mürzzuschlag (St)
Kolomannsberg (S)
Salzburg-Freisaal (S)
Semmering/Pass (NÖ)
100 mm
78 mm
74 mm
69 mm
62 mm
Derweil entluden sich über Österreich am 20.06. in schwülheißer Luft heftige Unwetter, die in nur kurzer Zeit sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen brachten. Mit einer potentiell instabil geschichteten Troposphäre, einer feuchtheißen Luftmasse am Boden, einer Labilisierung durch einen von Westen herannahenden Kurzwellentrog und durch das Gebirge hervorgerufene und unterstützte Hebungsvorgänge waren ideale Voraussetzungen für die Bildung schwerer Gewitter gegeben. Im Osten der Alpenrepublik stiegen die Temperaturen auf bis zu 35 °C, der bundesweite Tageshöchstwert wurde mit 36,0 °C in Bad Deutsch-Altenburg (NÖ) verbucht. Die äquivalentpotentielle Temperatur erreichte dabei regional Werte über 65 °C, was auf einen sehr hohen Energiegehalt der Luftmasse hinweist.

Ab dem Mittag löste es entlang des Alpenhauptkamms und Richtung Nordalpen aus und kräftige, mitunter nahezu stationäre Gewitter gingen nieder. Hohe Niederschlagssummen in nur kurzer Zeit waren die Folge. Am Hirschenkogel (NÖ) konnte mit 100 mm Tagesniederschlag ein neuer Bestwert seit Aufzeichnungsbeginn in Jahr 1994 erzielt werden. Dabei fielen 97 mm in nur 6 Stunden. Auch in der Stadt Salzburg kamen fast 60 mm innerhalb nur 2 Stunden vom Himmel. Solch ein Ereignis ist dort nach Statistik nur ein Mal alle 50 Jahre zu erwarten. Kräftig geschüttet hat es auch in Mürzzuschlag (St), wo mit 78 mm in nur gut 2 Stunden mehr als die Hälfte des klimatologisch üblichen gesamten Juniniederschlags zusammen kam. Mit den Unwettern gingen erhebliche Schäden durch Gerölllawinen, Murenabgängen, Bergstürze, Überschwemmungen, überflutete Keller, entwurzelte Bäume und Hagelschlag einher. Besonders betroffen waren der nördliche Teil des Salzburger Landes, das Innviertel in Oberösterreich und der obersteierische Bezirk Mürzzuschlag, wo Katastrophenalarm ausgelöst wurde.

Überschwemmungen und Hagel in Mürzzuschlag in der Steiermark (A) | © Haas Franz (Skywarn Austria-Forum)




21.06.: Schwerpunkt Südwestdeutschland, Österreich

Animation Gewitterlinie, 21.06. (4,5 MB)
© myblitzortung.org, Eumetsat
Abschluss der gewitterträchtigen Episode über Mitteleuropa und über dem Alpenraum bildete der 21.06., wo im Laufe des Tages von Westen her mit der Kaltfront von Tief "Jeanette" die schwülwarme Gewitterluft endgültig durch kühlere und trockenere Atlantikluft ersetzt wurde. Mit dem Herannahen eines scharf gekrümmten Höhentroges legte der Wind über Mitteleuropa sowohl in der Höhe als auch am Boden kräftig an Stärke zu. Vor der Kaltfront konnte die energiereiche Luftmasse nochmals ins südliche Mitteleuropa einfließen; in Rheinfelden (BW) am Hochrhein zeigte das Quecksilber bis zu 30 °C. Im Übergangsbereich zwischen den unterschiedlichen Luftmassen und in einer Umgebung mit starker Windscherung formierte sich am Nachmittag über Frankreich eine Gewitterlinie, die im Tagesverlauf ostwärts zog und gegen Spätabend die Mitte Deutschlands und die Nordseeküste erreichte ehe sie in energiearmer Luft und aufgrund fehlendem Antrieb dissipierte. Besonders über Nordostfrankreich, der Nordschweiz und über dem Südwesten Deutschlands überlappten Labilität und Windscherung sehr gut, hier fiel die Gewitterpassage auch am heftigsten aus. Über Baden-Württemberg und auch über der Nordschweiz wehten zuvor noch östliche Winde, die mit der lebhaften Westströmung an der Gewitterfront eine starke und gewitterfördernde Konvergenzzone generierten.

12-h-Niederschlagssumme 21./22.06. und Temperaturmaxima 21.06. | Quelle: DWD
12-h-Niederschlag [mm] bis 21.06., 18 UTC 12-h-Niederschlag [mm] bis 22.06., 6 UTC Höchstwerte der Temperatur [°C] 21.06.

21.06.2012, 18:53 UTC, NOAA IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern
Radaranimation BW, Abend des 21.06.
Quelle: DWD, Wetterpool
Auswahl 24-h-Niederschlag, 6 UTC bis 6 UTC
Quelle: DWD
Ort 21./22.
Klippeneck (BW)
Engelberg (OW)
Ramsau (BY)
Riedlingen (BW)
Zürich (ZH)
Laichingen (BW)
Rheinfelden (BW)
Rheinstetten (BW)
29 mm
26 mm
26 mm
26 mm
18 mm
17 mm
16 mm
6 mm

Bereits über Frankreich trat in Dieulouard im Département Lorraine 3 cm großer Hagel auf. Beim Eintreffen der Gewitterlinie im südwestdeutschen und nordschweizerischen Raum war vor allem der Wind ein großes Thema. Durch die kräftigen und linienartig angeordneten Gewitterzellen konnten sich großräumige und schnelle Abwinde einstellen, die an der Erdoberfläche Sturmböen und teilweise sogar Orkanböen hervorriefen. Bei Gewittern wird zudem der Impuls der Höhenwinde und somit die Windgeschwindigkeit besser vertikal Richtung Erdboden durchgereicht, was eine Erhöhung der bodennahen Windgeschwindigkeit zur Folge hat (vertikaler Fluss von horizontalem Impuls).

Nach Zusammenschluss mehrerer vorauseilender Gewitterzellen, wurde in Zürichberg in der Nordschweiz eine Orkanböe von 131 km/h registriert. Solch eine hohe Windgeschwindigkeit konnte dort im Sommerhalbjahr seit Messbeginn im Jahr 1981 noch nie beobachtet werden. Imposant wirkt auch die Messung einer orkanartigen Böe in Neuenburg (NE) mit 115 km/h, die durch Überlagerung von Gewitterböen und dem Joran (Fallwind vom Schweizer Jura) zustande kam. Auch über Deutschland wehten schwere Sturmböen oder orkanartige Windböen hinweg, dies besonders in Baden-Württemberg in der Bodenseeregion, am Hochrhein und in Nordbaden, sowie im Norden von Rheinland-Pfalz und in Teilen Nordrhein-Westfalens. Im Elsass im Osten Frankreichs wurden aufgrund von Gewitterwarnungen mehrere Konzerte abgesagt, in Friedrichshafen am Bodensee zerstörten Sturmböen die komplette Holzbudeneinrichtung eines geplanten Stadtfestes.

Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum:
Schadenbringende Windböen und umgestürzte Bäume, z.B. Illerrieden (BW), Burgstall (BW), Bodenseeregion/Oberschwaben, Koblenz (RP), Neuwied (RP), Kanton Zürich. Überflutete Straßen, z.B. Bad Säckingen (BW). Feuer durch Blitzschlag, Gondelsheim (BW). Mäßiger Hagelschlag, z.B. 3 cm in Unlingen (BW), 2 cm in Birkenheide (RP).

Auswahl Spitzenwindböen
Schweiz, Deutschland

Quelle: facebook (UWZ, Meteocentrale)
Ort/Windböen 21.
Zürichberg (ZH)
Diessenhofen (SH)
Neuchâtel (NE)
Hohentwiel (BW)
Uhldingen-Mühlhofen (BW)
Allenwinden (TG)
Küssaburg (BW)
Horn/Bodensee (TG)
Eschweiler (NRW)
Überlingen/Bodensee (BW)
131 km/h
126 km/h
114 km/h
104 km/h
102 km/h
100 km/h
100 km/h
96 km/h
93 km/h
87 km/h
Maximale Windböen Schweiz
Quelle: MeteoSchweiz
Radarbild mit Zürich-Zelle, 21.06., 18 UTC
Quelle: MeteoSchweiz

Shelfcloud über dem Raum Karlsruhe (Nordbaden, BW) | Quelle: privat
© Martin Busch © Bernhard Mühr © Christian Ehmann



Auswahl 24-h-Regen Österreich
Quelle: ZAMG
Ort/Österreich 21.
Präbichl (St)
Kalwang (St)
St. Veit im Pongau (S)
Kapfenberg (S)
Maria Alm (S)
92 mm
85 mm
70 mm
55 mm
55 mm
Bei nahezu unveränderten Troposphärenbedingungen entstanden über Österreich auch am 21.06. erneut schadenbringende Gewitter. Brennpunkt war abermals das Salzburger Land und die Steiermark. Die größte Niederschlagssumme kam in Präbichl (St) zusammen, wo innerhalb eines Tages 92 mm registriert wurden. Der Großteil davon fiel in nur kurzer Zeit. Laut Statistik kommt dort solch ein Niederschlagsereignis nur ein Mal alle 10 bis 20 Jahre vor. Andernorts gab es stellenweise noch kräftigere Regenfälle, so in Gaishorn (St), wo innerhalb 24 Stunden sogar über 120 mm aufgezeichnet wurden. In Lichtenau (NÖ) wurde das Jahresniederschlagssoll mit den heftigen Regenfällen bereits im Juni nahezu erfüllt (siehe Grafik). Über der Steiermark und im Grazer Becken wüteten zudem mehrere Schwergewitter, die vor allem viel Hagel produzierten, wie beispielsweise in Eichkögl (St) mit bis zu 4 cm Korndurchmesser oder in Auersbach (St) mit Großhagel bis 6 cm.

Schäden entstanden besonders durch Überschwemmungen sowie Schlamm- und Geröllmassen. Im Raum Trieben (St) mussten Ortschaften evakuiert werden, die durch Überflutungen bedroht waren. Treglwang im Paltental (St) wurde meterhoch von Schlamm und Geröll durchflutet. Muren und Unterspülungen machten zahlreiche Bahn- und Straßentrassen unpassierbar, auch die Tauernautobahn war von Murenabgängen betroffen. Zahlreiche Feuerwehren waren sowohl am 20.06. als auch am 21.06. mitunter pausenlos im Einsatz.

Niederschläge und Feuerwehreinsätze in Österreich | Quellen: OOE Feuerwehr, Hydrographie Steiermark, Land NÖ
48-h-Regen OÖ Regensumme und Verlauf, Lichtenau (NÖ) RR in Gaishorn (St) Feuerwehreinsätze in OÖ

Auch über Italien beendeten Unwetter die schwülwarme Episode, besonders im Piemont ging es heftig zur Sache. Die Stadt Asti bekam innerhalb nur einer halben Stunde 52 mm Regen ab, was Sturzbäche und Überschwemmungen zur Folge hatte. Turin erlebte in Verbindung mit einer Superzelle bis zu 6 cm große Hagelsteine, dazu traten örtlich Orkanböen auf. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt.


Text: DK
25. Juni 2012


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