Montag, 29. August 2011, 19:00 MESZ
Hitze, Gewitter Mitteleuropa 21.-27.08.2011 Satellitenbild: 26.08.2011, 16:15 UTC, NOAA-15 VIS/IR Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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Sehr spät, erst Ende August, stellte sich in Mitteleuropa im Sommer 2011 die heißeste Witterungsphase des Jahres ein. Höchsttemperaturen von teilweise deutlich über +30 °C gab es vor allem im Süden Deutschlands, insgesamt konnten an vier Tagen 33 neue Rekorde der Höchsttemperatur für die letzte Augustdekade verzeichnet werden. Wiederholt auftretende, heftige Gewitter richteten gebietsweise große Schäden an.
Wetterlage und Entwicklung Der Auftakt zu dieser späten hochsommerlichen Witterungsphase erfolgte streng genommen bereits Ende der zweiten Augustdekade, als kurzzeitig subtropisch warme Luft Mitteleuropa erreichte und in der Mitte und im Süden Deutschlands Höchsttemperaturen von verbreitet über +30 °C zuließ (siehe Artikel). Nur von zwei etwas kühleren Tagen unterbrochen fand die sehr warme Luft zum 21. über Nordafrika, Südwesteuropa und Südfrankreich erneut den Weg in den Süden und die Mitte Deutschlands. Dies geschah zwischen einem sich über Mitteleuropa hinweg Richtung Balkan verlagernden Hochdruckgebiet ("Morven") und einer flachen Luftdruckverteilung über dem westlichen und südwestlichen Europa. Am 22. konnten in 850 hPa, etwa 1.500 Meter Höhe entsprechend, südlich des Mains Temperaturen von über +20 °C analysiert werden, ein selbst für hochsommerliche Verhältnisse sehr hoher Wert. Am 23. drang die Warmluft auf der Vorderseite eines kleinen, von der Bretagne zur Nordsee ziehenden Tiefs ("Zion") vorübergehend bis zur Mitte des Landes vor.
"Zion" entwickelte sich unter der Vorderseite eines Höhentiefs, das sich wenige Tage zuvor über dem östlichen Nordatlantik aus einem Höhentrog abgespalten hatte und nun wieder als kurzwelliger Randtrog eines neuen, sich Westeuropa nähernden Langwellentroges in die Frontalzone integriert wurde. Der Langwellentrog, der am 24. und 25. als umfangreiches und kräftiges Höhentief in Erscheinung trat, hatte fortan maßgeblichen Anteil an der weiteren Entwicklung. Auf seiner Vorderseite blieb über West- und Mitteleuropa eine südwestliche Höhenströmung erhalten, sie drehte durch die Ausweitung des Troges zur Iberischen Halbinsel zum 26. gar auf Süd zurück. Die Kaltfront von "Zion" blieb diagonal über dem Süden Deutschlands liegen, spürbar kühlere Luft konnte sich nur im Nordwesten durchsetzen. Ein wohl durch bodennahe Aufheizung über Frankreich entstandenes flaches Wellentief lief am 25. an der Luftmassengrenze entlang nach Nordosten ab.
Das Höhentief wandelte sich zum 26. in einen lang gezogenen Langwellentrog um, dessen markanter Südteil sich allmählich ostwärts in Bewegung setzte. Seine stark diffluente Vorderseite gab zu großräumigen Hebungsvorgängen Anlass, daraus resultierend entstand über Westfrankreich Tiefdruckgebiet "Bert". Östlich davon intensivierte sich vorübergehend nochmals der Strom subtropisch warmer Luft nach Norden; die +20-°C-Isotherme in 850 hPa reichte am Nachmittag des 26. bis zur Ostsee, über Süddeutschland konnte föhnbedingt sogar ein Gebiet mit mehr als +25 °C in diesem Niveau analysiert werden. Am Abend und in der Nacht zum 27. überquerte die scharf ausgeprägte Kaltfront Deutschland von West nach Ost und beendete den heißen und vielfach schwülen Witterungsabschnitt. Die 850-hPa-Temperaturen gingen innerhalb von Stunden auf Werte um +5 °C zurück. Chronologie
In der Schweiz verpasste der 2.501 Meter hohe Säntis im Osten des Landes mit einem Tageshöchstwert von +20,5 °C seinen Hitzerekord vom Juli 1983 nur um drei Zehntel Kelvin. Im 1.560 Meter hoch gelegenen Davos in Graubünden wurde es +28,5 °C warm, hier fehlten nur 0,5 Kelvin zum absoluten Hitzerekord ebenfalls aus dem Juli 1983. Dass es - nicht nur in der Schweiz - in erster Linie in höheren Lagen so extrem warm war, in den Niederungen neue Hitzerekorde aber meist deutlich verfehlt wurden, lag an einer Inversion, die zum Beispiel in den Radiosondierungen von Stuttgart und Payerne (s. Abbildungen) etwas unterhalb von 850 hPa sichtbar wurden. Dadurch konnte die Erwärmung nicht vollständig trockenadiabatisch bis auf Meereshöhe erfolgen. Am 23. wurde der tags zuvor aufgestellte Spitzenwert von Rheinfelden an der Station Stuttgart/Neckartal mit +36,6 °C nur denkbar knapp verpasst; in der Fläche konnten an diesem Tag jedoch die allgemein höheren Werte verzeichnet werden. An 16 von 119 Stationen in ganz Deutschland, jedoch ausnahmslos in der Südhälfte, wurden neue Dekadenrekorde verbucht; der spektakulärste unter ihnen sicherlich am Stuttgarter Flughafen (+34,0 °C), wo die über 68 Jahre bestehende Bestmarke knapp übertroffen wurde. Straubing (Bayern) überbot mit einem Höchstwert von +33,5 °C seinen alten Rekord für die letzte Augustdekade aus dem Jahre 1960 gleich um mehr als zwei Kelvin. Auch in Österreich wurden an diesem Tag außergewöhnlich hohe Temperaturen gemessen (z. B. Wien/Stadt +36,8 °C), bestehende Rekordmarken aber nicht erreicht. Bereits in der Nacht waren einige Gewitter über die Mitte Deutschlands ostwärts gezogen; in Verbindung mit Tief "Zion" und dem zugehörigen sowie am Abend weiteren nachfolgenden Kurzwellentrögen griffen im Tagesverlauf neue und teilweise kräftige Gewitter zuerst auf den Nordwesten und Norden, später auch auf den Westen, Südwesten und die Mitte der Bundesrepublik über. Örtlich wurden diese von schweren Sturmböen begleitet (z. B. Warburg/NRW 96 km/h).
Am 24. liefen in der südwestlichen Höhenströmung gleich drei aufeinanderfolgende Kurzwellentröge, recht gut identifizierbar in 300 hPa, über Deutschland nordostwärts ab. Die Gewittertätigkeit konzentrierte sich im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen nun auf die Südosthälfte Deutschlands und auf die Nacht und die zweite Tageshälfte. In Ingolstadt (Bayern) fielen 51 mm, ebenso im tschechischen Pilsen. Verbreitet traten vor allem in Hessen, Thüringen und Sachsen Sturm- und schwere Sturm-, örtlich auch orkanartige Böen auf (z. B. Berlin/Schönefeld 104 km/h). Vielerorts gab es Hagel mit Korngrößen meist zwischen 2 und 4 cm im Durchmesser. Vielfach kam es zu Schäden durch Sturm und vollgelaufene Keller, in der Region um Simmern im Hunsrück (Rheinland-Pfalz) wurden zahlreiche Dächer abgedeckt.
Am 25. setzte sich kurzzeitig etwas weniger warme Luft durch, die höchsten Temperaturen lagen nur im Süden an manchen Orten etwas über +30 °C (z. B. Rheinfelden/BW +32,2 °C), meist aber darunter. Erst zum Abend drang die subtropische Warmluft allmählich wieder nach Norden vor. Gewitter entstanden zunächst ebenfalls nicht; erst am späten Abend, zwischen 22 und 23 Uhr MESZ, setzten beinahe "explosionsartig" Entwicklungen entlang des Oberrheins ein. Dynamische Hebungsantriebe waren dabei nicht ohne Weiteres zu identifizieren; möglicherweise spielten hier lokale Effekte, etwa in Form bodennaher Konvergenzen, eine entscheidende Rolle. Die teilweise äußerst blitzintensiven Gewitter waren häufig mit Starkregen (z. B. Darmstadt/HE 45 mm), lokal auch mit Hagel (z. B. Pforzheim/BW) verbunden. Derweil stiegen die Temperaturen in Bischofshofen (Salzburg, Österreich) am fünften Tag hintereinander auf über +33 °C, das hatte es an der seit 1980 betriebenen Station zuvor noch nicht gegeben.
Am 26. stand die abschließende Kaltfrontpassage auf der Karte, welche die feuchte Warmluftmasse rasch nach Osten abdrängte und durch wesentlich kühlere Atlantikluft ersetzte. Bereits am Vormittag entwickelten sich in deren Vor- und Umfeld über Nordfrankreich, Benelux und dem Westen Deutschlands erste kräftige Gewitter, die einen nordnordöstlichen Kurs einschlugen. Weniger intensiver Regen als vielmehr großer Hagel und schwere Sturmböen richteten dabei vor allem in Teilen Nordrhein-Westfalens und von Rheinland-Pfalz große Schäden an. In Bendorf wurde eine 94-km/h-Böe registriert, beispielsweise in Veldenz Hagelkörner mit einem Durchmesser von 7 cm beobachtet. Allein dort betrug der Schaden schätzungsweise rund 30 Millionen Euro. Der Hagel durchschlug Auto- und Fensterscheiben, in Mülheim im Landkreis Bernkastel-Wittlich wurden bei einem Hubschrauber-Treffen 17 Maschinen zum Teil schwer beschädigt. Die Sturmböen rissen Ziegel aus den Dächern und Bäume um, mehrere Bahnstrecken mussten gesperrt werden. An der Koblenzer Rheinpromenade wurde eine Frau von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Nach einem abermals sehr heißen Tag mit Höchsttemperaturen bis +36,0 °C in Stuttgart (Neckartal) und elf weiteren Rekorden für die letzte Augustdekade breiteten sich die Gewitter am Abend nach Osten und Nordosten aus, verschonten aber weite Teile Württembergs und Bayerns. Hier war die Luft einerseits durch Föhn zu trocken, um vorlaufende Gewitterzellen entstehen zu lassen; zum anderen lag der dynamische Hebungsantriebe bereitstellende Höhentrog zu weit im Westen, um noch zu günstiger Tageszeit am Spätnachmittag oder Abend entsprechende Entwicklungen auszulösen. Erst in der Nacht zum 27. kam auch im Alpenvorland mit Gewittern durchsetzter Regen auf.
Postfrontal bildete sich ein großflächiges Regengebiet aus, welches weite Teile Bayerns am 27. noch beschäftigte. Im Dauerregen und mit Einfließen der deutlich kühleren Luft wurde an zahlreichen Stationen gegenüber dem Vortag ein regelrechter Temperatursturz beobachtet. Auf dem Großen Arber (1.446 m) im Bayerischen Wald konnten am 26. +24,6 °C, 24 Stunden später nur noch +8,4 °C gemessen werden. An der Station München/Stadt wurden tagsüber zwischen 6 und 18 UTC nur mehr +14,7 °C erreicht, über 20 Kelvin weniger als am Vortag (+35,8 °C). Betrachtet man das klimatologische Maximum, das im Zeitraum zwischen 23:51 UTC am Vortag und 23:50 UTC - also innerhalb des gesamten Tages - gemessen wird, findet sich für den 27. zwar noch ein Höchstwert von +18,8 °C; dennoch hatte es an der seit dem Jahr 1956 bestehenden Station noch nie eine solch große Änderung der Extremtemperatur innerhalb von 24 Stunden gegeben. Zuletzt konnte am 6./7. April 1986 ein ähnlicher Temperatursprung verzeichnet werden, allerdings in umgekehrter Richtung. Damals wurde am 6. eine Höchsttemperatur von +4,9 °C, einen Tag später von +21,0 °C registriert.
Text: CE
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