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Samstag, 7. Januar 2012, 02:15 MEZ


Stürme

West-, Mitteleuropa
03./05.01.2012


Satellitenbild: 04.01.2012, 10:00 UTC, MSG IR
Quelle: yr.no / Eumetsat

Das Satellitenbild zeigt das mit seinem Zentrum bereits über dem
Bottnischen Meerbusen angelangte Tief "Ulli" sowie "Andrea" mit
ihrem mächtigen Wolkenschirm südlich von Island.
Ein Klick auf das Bild startet eine Animation vom 04.01.2012,
01:30 UTC bis zum 05.01.2012, 20:15 UTC (Größe ca. 4,5 MB).

Gleich zwei kräftige Stürme, "Ulli" und "Andrea", zogen Anfang Januar 2012 innerhalb von nur drei Tagen über das nördliche Mitteleuropa hinweg. Von den Britischen Inseln über Nordfrankreich, Benelux und Deutschland bis nach Tschechien und Polen traten Sturm- und schwere Sturm-, an den Küsten und im höheren Bergland Orkanböen auf. In Bayern kam eine Frau ums Leben, auf den Britischen Inseln und im Ärmelkanal starben zwei Männer. Die Stürme richteten verbreitet Schäden an.


Wetterlage und Entwicklung

Westwindgeprägt und damit zum einen ungewöhnlich mild, zum anderen zeitweise stürmisch präsentierte sich die erste Winterhälfte 2011/12 in West- und Mitteleuropa. Innerhalb einer - von kurzen Unterbrechungen abgesehen - gut ausgeprägten Frontalzone entwickelten sich im Dezember und Anfang Januar immer wieder kräftige Tiefdruckgebiete, die insbesondere den westlichen und nördlichen Teilen des Kontinents wiederholt Sturm brachten (s. entsprechende Artikel). Gleich zu Beginn des neuen Jahres zogen innerhalb von nur drei Tagen zwei Sturmtiefs, "Ulli" und "Andrea" auf ähnlichem Wege über das nördliche Mitteleuropa ostwärts.



Sturmtief "Ulli"

"Ulli" tauchte am Neujahrstag am linken Rand der nordatlantisch-europäischen Wetterkarten auf und war zu diesem Zeitpunkt ein bereits voll entwickeltes Tiefdruckgebiet. Da es somit noch im Jahr 2011 entstanden war, wurde es nach den Kriterien für ungerade Jahre auf einen männlichen Namen getauft. Innerhalb von rund 36 Stunden überquerte "Ulli" den mittleren Nordatlantik und traf in der Nacht zum 3. mit einem Kerndruck von unter 970 hPa auf den Norden der Britischen Inseln. Unter die stark diffluente Vorderseite eines von Nordwesten heranschwenkenden Höhentroges geratend intensivierte sich das Tief und erreichte vor der südwestnorwegischen Küste einen Kerndruck von weniger als 955 hPa. Am 4. zog "Ulli" über den Skagerrak und Südschweden hinweg zum Bottnischen Meerbusen und schwächte sich allmählich ab. Im Bereich des Starkwindfeldes auf seiner Südseite konnten an der Nordseeküste in 850 hPa (ca. 1.500 Meter Höhe) Mittelwinde bis 85 kt (157 km/h) analysiert werden. Über Deutschland betrugen die mittleren Windgeschwindigkeiten in diesem Niveau noch meist 50 bis 70 kt (93 bis 130 km/h).

Bodendruckanalysen vom 03./04.01.2012 | Quelle: FU Berlin / DWD / wetter3.de
03.01.2012, 00 UTC 03.01.2012, 12 UTC 04.01.2012, 00 UTC 04.01.2012, 12 UTC
500-hPa-Geopotential und Bodendruck vom 03./04.01.2012 | Quelle: wetter3.de
03.01.2012, 00 UTC 03.01.2012, 12 UTC 04.01.2012, 00 UTC 04.01.2012, 12 UTC

Am 3. entfaltete "Ulli" seine Kraft zunächst über den Britischen Inseln. Verbreitet traten Sturm-, vor allem an den Westküsten auch schwere Sturm- und Orkanböen auf. Das walisische Aberdaron meldete bereits in den frühen Morgenstunden eine 150-km/h-Böe. Auch an den Flughäfen von Glasgow und Edinburgh wurden Orkanböen gemessen (144 und 130 km/h), in den etwas erhöhten Lagen konnten Spitzenböen jenseits 150 km/h registriert werden (z. B. Glen Ogle, 564 m, 167 km/h). An den Flughäfen der Hauptstädte Dublin (115 km/h), Belfast (102 km/h) und London (76 km/h) blies der Wind ebenfalls in Sturm- beziehungsweise mit orkanartiger Stärke.

Spitzenböen (3-/6-stündig) im Nordwesten Europas vom 03.01.2012, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD
03.01.2012, 06 UTC 03.01.2012, 12 UTC 03.01.2012, 18 UTC 04.01.2012, 00 UTC

Einhergehend mit dem okkludierenden Frontensystem des Tiefs griff in den Nachmittags- und Abendstunden auch dessen Sturmfeld auf das europäische Festland über. Im Norden Frankreichs meldeten nur die unmittelbar an der Küste gelegenen Stationen schwere Sturm- oder orkanartige Böen (z. B. La Hague 109 km/h), im Binnenland blieb es bei stürmischen Böen und Sturmböen. In den Benelux-Staaten hingegen wurde oftmals Windstärke 9 oder 10 verzeichnet, unter anderem an den Flughäfen von Amsterdam (90 km/h) und Brüssel (83 km/h).

In Deutschland beschränkten sich orkanartige Böen ebenfalls meist auf das unmittelbare Küstenumfeld (z. B. St. Peter-Ording 112 km/h) und die Mittelgebirge (z. B. Weinbiet / Pfälzer Wald 130 km/h). Vor allem in der Nordwesthälfte traten gebietsweise schwere Sturmböen, am Flughafen Münster/Osnabrück sowie in Aachen-Orsbach mit jeweils 112 km/h Böen der Stärke 11 auf. Generell ruhiger blieb es in der Südosthälfte, wo in der Nacht zum 4. lediglich einzelne Sturmböen beobachtet werden konnten. Hier brachte es in den tiefen Lagen lediglich Chemnitz mit 101 km/h auf mehr als 9 Beaufort.

Niederschlagsradarbilder vom 03./04.01.2012 | Quelle: DWD
03.01.2012, 18:00 MESZ 03.01.2012, 22:00 MESZ 04.01.2012, 02:00 MESZ 04.01.2012, 06:00 MESZ

Größere Schäden richtete der Sturm besonders auf den Britischen Inseln an, wo zudem zwei Menschen ums Leben kamen. Ein Mann wurde auf einem Tanker im Ärmelkanal von einer Welle tödlich verletzt, ein anderer in Tunbridge Wells südöstlich von London in seinem Wagen von einem Baum erschlagen. Im Westen Schottlands rissen Windböen mehrere Wohnmobile um, dabei wurden fünf Menschen verletzt. Die Fähre Dover - Calais musste vorübergehend ihren Betrieb einstellen, an den Flughäfen Glasgow und Edinburgh verspäteten sich zahlreiche Flüge oder fielen ganz aus. Auch der Bus- und Bahnverkehr wurde stark behindert. Im Norden Frankreichs führte der Sturm zu Stromausfällen, in der nördlichsten Region Nord-Pas-de-Calais waren 13.000 Haushalte ohne Strom. Aus Deutschland wurden derweil meist nur kleinere Schäden gemeldet. Im Raum Aachen zählten Polizei und Feuerwehr rund 30 sturmbedingte Einsätze, eine Person soll von einer vom Sturm gelösten Satellitenschüssel getroffen worden sein.



Sturmtief "Andrea"

Deutlich nördlicher als zuvor "Ulli" formierte sich am 3. das spätere Sturmtief "Andrea" über dem Norden Kanadas. Es wählte zunächst eine ungleich nördlichere Route als "Ulli" und zog am Norden Neufundlands vorbei über die Labradorsee hinweg auf die Südspitze Grönlands zu. Vermutlich zu einem Großteil orografischen Effekten geschuldet, entstand zum 4. auf der Ostseite der Inselspitze ein neuer Tiefkern. Etwa zwölf Stunden später wiederholte sich der Vorgang südlich von Island, schließlich verlagerte sich "Andrea" als Ganzes mit ihrem Zentrum unter Intensivierung über die Färöer und die nördliche Nordsee hinweg zum Skagerrak und Kattegat und nach Südschweden. Trotz eines höheren minimalen Kerndrucks zwischen 960 und 965 hPa wies das Tief gegenüber "Ulli" ein wesentlich breiter angelegtes, wenngleich nicht unbedingt kräftigeres Starkwindfeld auf. Ursächlich dafür war die im Vergleich mit "Ulli" um einige hundert Kilometer nach Südosten verschobene Position des Azorenhochs, das einen großen Luftdruckgradient zwischen dem Tiefkern im Norden und Südwesteuropa begünstigte. Der maximale Luftdruckunterschied zwischen der deutsch-dänischen Grenze und dem Hochrhein betrug bei "Andrea" rund 40, bei "Ulli" etwa 32 hPa.

Bodendruckanalysen vom 05./06.01.2012 | Quelle: FU Berlin / DWD / wetter3.de
05.01.2012, 00 UTC 05.01.2012, 12 UTC 06.01.2012, 00 UTC 06.01.2012, 12 UTC
500-hPa-Geopotential und Bodendruck vom 05./06.01.2012 | Quelle: wetter3.de
05.01.2012, 00 UTC 05.01.2012, 12 UTC 06.01.2012, 00 UTC 06.01.2012, 12 UTC

Auf den Britischen Inseln wurden in Zusammenhang mit "Andrea" insgesamt weniger hohe Windgeschwindigkeiten gemessen als zwei Tage zuvor bei "Ulli". Vielerorts traten dennoch Sturm- und schwere Sturmböen auf, beispielsweise auch wieder am Londoner Flughafen Heathrow (83 km/h). Selbiges galt für den Norden Frankreichs und Benelux, nur an einzelnen Stationen standen am Tagesende dreistellige Spitzenböen zu Buche (z. B. Lille 102 km/h).

Spitzenböen (3-stündig) in Mitteleuropa vom 05.01.2012, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD
05.01.2012, 03 UTC 05.01.2012, 09 UTC 05.01.2012, 15 UTC

Im Warmsektor des Tiefs, der sich durch eine vertikal stabile Luftschichtung auszeichnete, blieben in Deutschland Böen größer 100 km/h zunächst den Mittelgebirgen vorbehalten. An der Kaltfront, die unmittelbar unter einem Starkwindband in der oberen Troposphäre angesiedelt war (s. Analysegrafiken), formierte sich eine ausgeprägte Gewitterlinie, wie sie in dieser Form nur selten im Winterhalbjahr über Mitteleuropa beobachtet werden kann. Sie zog von Nord nach Süd über Deutschland hinweg, in ihrem direkten Umfeld wurden Starkregen, kleiner Hagel sowie Sturm- und schwere Sturmböen bis ins Flachland beobachtet. Aufgrund der relativ großen Zuggeschwindigkeit schlugen sich die nur kurze Zeit andauernden Starkniederschläge nur bedingt in den stündlichen Niederschlagsmengen nieder; immerhin aber wurden zum Beispiel in Bad Mergentheim im Nordosten Baden-Württembergs zwischen 13 und 14 Uhr MEZ 12,9 mm gemessen. Stötten auf der Schwäbischen Alb verzeichnete zwischen 14 und 15 Uhr MEZ eine 119-km/h-Böe, an der Station München/Stadt konnten mit Passage der Kaltfront eine Stunde später 101 km/h aufgezeichnet werden. Die Kaltfront ging zudem mit einem markanten Temperaturrückgang einher, an manchen Stationen fielen die Werte innerhalb einer Stunde um mehr als 7 K. So wurden in Worms im Osten von Rheinland-Pfalz vor der Front um 12 Uhr +10,3 °C, eine Stunde später dagegen nur noch +3,2 °C gemessen.

Satellitenbilder und 300-hPa-Isotachen (= Linien gleicher Windgeschwindigkeit, in m/s) vom 05.01.2012 | Quelle: EUMeTrain
05.01.2012, 00 UTC 05.01.2012, 06 UTC 05.01.2012, 12 UTC 05.01.2012, 18 UTC

Niederschlagsradarbilder vom 05.01.2012 | Quelle: DWD
05.01.2012, 06:00 MEZ 05.01.2012, 09:00 MEZ 05.01.2012, 12:00 MEZ 05.01.2012, 15:00 MEZ
Blitzkarten vom 05.01.2012 | Quelle: DWD
05.01.2012, 05-06 MEZ 05.01.2012, 08-09 MEZ 05.01.2012, 11-12 MEZ 05.01.2012, 14-15 MEZ

Satellitenbilder (MSG VIS) und stündliche Niederschlagsmengen, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD JavaMAP
05.01.2012, 09 UTC 05.01.2012, 12 UTC 05.01.2012, 15 UTC

In der Schweiz traten auf den Bergen Spitzenböen zwischen 150 und 190 km/h, auf dem Großen St. Bernhard knapp 210 km/h als größter Wert auf. Im Flachland wurden an den Stationen von MeteoSchweiz wie in der Bundesrepublik vielfach Sturm- und schwere Sturmböen registriert. Ebenso wie in Deutschland blieben die Windgeschwindigkeiten allerdings insgesamt hinter den prognostizierten Werten zurück. Somit kann "Andrea" aus meteorologischer Sicht als durchaus kräftiger Wintersturm, jedoch nicht als Extremereignis wie zum Beispiel "Lothar" 1999 oder "Kyrill" 2007 klassifiziert werden.

Aufzug der Kaltfront vom Stuttgarter Fernsehturm aus gesehen.
Aufnahmezeitpunkte: 14:08 Uhr MEZ und 14:15 Uhr MEZ; Quelle: fernsehturmstuttgart.com
Schäden in Konstanz.
Foto: Helmar Ehmele

Infolge von "Andrea" kam mindestens ein Mensch ums Leben: Im oberfränkischen Weißenstadt starb eine Autofahrerin bei einem Frontalzusammenstoß, der nach Angaben der Polizei vermutlich auf das windige Wetter zurückzuführen war. Eine weitere Autofahrerin verunglückte in Krefeld bei einem Zusammenprall mit einem Baum tödlich; inwieweit der Sturm hierbei eine Rolle spielte, blieb zunächst unklar.
Der Sturm richtete vor allem im Norden und in der Mitte Deutschlands teilweise größere Schäden an. So fuhr im Münsterland ein Regionalzug gegen einen umgestürzten Baum und entgleiste, der Schaden betrug ca. 100.000 Euro. In Sachsen und Sachsen-Anhalt kam es in etwa 10.000 Haushalten zu Stromausfällen. Im ganzen Land wurden Bäume entwurzelt und Gegenstände durch die Luft gewirbelt. Auf den Autobahnen hatten größere Lastwagen mit den Böen zu kämpfen, in Hessen kippte ein LKW um. Auch durch die zahlreichen Gewitter entstanden örtlich Schäden; so geriet in der Gemeinde Wald im Allgäu in Bayern der Glockenturm einer Kirche in Brand, als Ursache wurde ein Blitzeinschlag vermutet. Die wiederholten, teilweise länger andauernden und kräftigen Regenfälle ließen die Pegel vieler Flüsse steigen. In Köln wurde die Hochwassermarke 1 erreicht, was erste Einschränkungen im Schiffsverkehr zur Folge hatte.
Im Vorfeld des Sturms hatte es zahlreiche Warnungen gegeben, sodass einige öffentliche Einrichtungen - zum Beispiel der Karlsruher Stadtgarten - geschlossen blieben. In Frankfurt wurden rund 20 Beerdigungen abgesagt, auch in der Pfalz sperrten die Behörden vereinzelt Friedhöfe.


Text: CE



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